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Ultraleicht Trekking

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Schwitzend, trotz der Kälte, kämpfe ich voran. Ich richte den Blick zum Boden, alles andere wird vom dichten Nebel verschluckt. Vorsichtig setze ich meine Schritte. Überall verbergen sich Löcher im Geröll, manche Felsen glänzen unter dünnem Eis, andere wackeln gefährlich. Die karge Natur erinnert mich an die Alpen. Dabei wandere ich doch durchs grüne, hügelige, lebendige Schweden. Wann und wo bin ich bloß falsch abgebogen? 

Schneekralle – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Gestern, in Tjäktja. Da ich zu viel Zeit für zu wenige Kilometer übrig hatte, entschloss ich mich für einen Umweg, der es in sich hatte. Eine steinige Passüberquerung im tiefen Nebel, verschneite Berghänge und vereiste Bäche, keine Menschenseele weit und breit. Aber auch ein ruhiger Bergsee, glühende Gipfel im Abendlicht und mein liebstes Foto der Reise. Falsch abgebogen? Richtig so!

Spiegelsee – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

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Meine ultraleichten Kamerataschen: www.leichtmut.de

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Bevor es beginnt

Meine Reise durchs Hochland beginnt in den Highlands. Auf dem West Highland Way 2016, meiner ersten Tour mit Zelt, erzählte mir ein Wanderpaar, sie würden für den "Kungsleden" trainieren: einem Fernwanderweg durch die schwedische Wildnis. Dort gebe es nichts als ewige Weite und nur eine kleine Holzhütte auf jeder Etappe, man müsse Essen für ein bis zwei Wochen einplanen und 25-30 kg auf dem Rücken schleppen, man könne Bären und Elchen begegnen – ja, das ganze Unterfangen sei ganz schön anstrengend und gefährlich. 

Jahre später suche ich nach einer neuen Herausforderung und erinnere mich an das Gespräch. Ist der Kungsleden wirklich so gefährlich? Keinesfalls: Eine schnelle Recherche entlarvt diese Erzählung als heillose Übertreibung. Im schwedischen Hochland bedeutet Wildnis Idylle, nicht Todesfalle. Hier sieht man vor allem Rentiere und Lemminge statt Bären und Elche, manche der Hütten haben einen Laden oder sogar eine Sauna und alle paar Tage gibt's eine Busanbindung. Perfekte Voraussetzungen, um für Touren abseits der Wege zu üben. Meine Ehrfurcht schwindet, weicht gesundem Respekt und verwandelt sich in Planungslust.

Am 2. September 2022, einem lauwarmen Freitagabend, liege ich endlich im Nachtzug von Hamburg nach Stockholm. Ein Glück! Denn obwohl dies erst der zweite Tag der neuen Direktverbindung ist, geht bereits einiges schief – bisher fahren bloß zwei der fünf geplanten Wagen mit. Das Hamburger Abendblatt berichtet: „Die von der schwedischen Staatsbahn betriebenen Waggons haben keine Zulassung für Dänemark“. Und einige Tage später kommt es noch schlimmer: Der Zug fährt einfach eine Stunde früher ab, ohne dass SJ (die betreibende, schwedische Bahn) die DB informiert hätte. Alle, die ihr Ticket über die DB gekauft hatten, stehen also zur geplanten Abfahrtszeit am leeren Gleis – und müssen mit einem notdürftig organisierten Nachtbus vorlieb nehmen.

Ich hingegen? Liege glücklich im Nachtzug. Die Landschaft zieht langsam vorbei, während ich mich müde in den Schlaf schaukeln lasse. Morgen habe ich acht Stunden Zeit, um die auf Inseln gebaute Hauptstadt zu erkunden. Dann bringt mich der nächste Nachtzug nach Jokkmokk und ein Bus nach Kvikkjokk. Hier starte ich mein Ultralight- und Fotoabenteuer auf dem Kungsleden im Herbst 2022.

Ultralight und Fotoabenteuer, wie passt das zusammen? Ganz einfach: Ich wandere ultraleicht nicht trotz, sondern weil ich gern fotografiere. Ich habe dreieinhalb Kilogramm Kameraausrüstung dabei, um schönes Licht, den Nachthimmel und abstrakte Formen einzufangen. Das ist für mein Setup bereits ganz schön leicht – aber damit ich noch genug Energie zum Wandern und Fotografieren habe, muss auch der Rest der Ausrüstung so leicht wie möglich sein. Das Ergebnis: neun Kilogramm inklusive Fotoausrüstung, dazu kommen sechseinhalb Kilogramm fürs Essen, sowie meist ein halber Liter Wasser.

Lighterpack: https://lighterpack.com/r/088nzr

Reiseplanung:
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 Packlistenplanung:

 

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Tag 1: Geschenk des Weges

Fünf Minuten bin ich einen See entlang gelaufen, da merke ich, etwas stimmt nicht. Ich laufe doch nach Norden, warum scheint mir dann mitten am Tag die Sonne ins Gesicht? Ups! Da bin ich glatt in die falsche Richtung gestartet. Ich kehre um. Statt 180 habe ich nun 181 Kilometer vor mir, aber das macht nichts, ich habe ja Zeit.

Statt an einem See beginnt mein Abenteuer in einem Wald. Zwischen lauter Nadeln lugen auch ein paar Birkenblätter hervor, die ersten leuchten bereits gelb. Mein Blick durchforstet das Dickicht links und rechts. Überall verstecken sich Pilze. Nach einer halben Stunde folgt der erste Bach, dann morastige Felder. In der Ferne entdecke ich schneebedeckte Gipfel. Ja, hier gibt es sie, die Idylle.

© Jacob Muth / www.dermuthige.de

Für heute hege ich keine großen Pläne mehr, bin ja erst gegen Mittag aus dem Bus gestiegen. Aber gerüchteweise weiß ich von der Fahrt: Die Chance steht gut, am Abend Nordlichter zu sehen! Das lasse ich mir auf keinen Fall entgehen. Ich werde also weiterlaufen, bis ich einen schönen Blick finde, um sie auch mit der Kamera einzufangen.

Etwa zehn Kilometer später ist es so weit. Ich komme an den ersten See (wenn wir meinen Fehlstart mal außer Acht lassen). Ein Platz fürs Zelt, ein Blick für die Nacht, ein Bach ist nicht weit – ich bleibe hier. Im ruhigen See spiegeln sich die Berge, die untergehende Sonne wärmt mein Gesicht. Ich errichte mein Zelt, bereite und verzehre mein Abendessen und hole Wasser vom Bach. Dann hüpfe ich im flachen Wasser von Stein zu Stein und fotografiere den Sonnenuntergang. Nicht weit von mir zeltet eine kleine Gruppe aus dem Bus, angelt und räuchert Fisch. Sie lassen den Abend am Feuer ausklingen, doch für mich geht's früh ins Bett. Ich stelle mir natürlich ausreichend Wecker, damit ich auch kein einziges Nordlicht verpasse.

© Jacob Muth / www.dermuthige.de

Ring riiiiiing! Müde schalte ich den Wecker aus, kämpfe mich aus dem Schlafsack und krabble aus dem Zelt. Es ist elf Uhr in der Nacht und absolut finster. Nur nicht am Himmel: Zwischen den Sternen wabert ein sanftes Licht hin und her. Sind das etwa die ersten Nordlichter? Ich erkenne zunächst nur eine dünne, helle Wolke. Schnell schnappe ich Kamera und Stativ, laufe zum Ufer und schieße das erste Bild. Ja, es sind Nordlichter, und sie leuchten grün! 

Ich springe wieder schnell von Stein zu Stein, ein Foto hier, eins dort, eins mit Bergen, eins direkt in den Himmel. Ich bin begeistert. Doch dann halte ich inne: Irgendwie sind die Nordlichter doch ... überbewertet. Mit dem bloßen Auge erkenne ich bloß graue Nebelschwaden, nur ab und zu funkeln sie grünlich. All die Fotos, die man so kennt, gaukeln einem doch was vor? 

Ich murmele müde meinen Missmut in die Nacht. Doch dann verschlägt es mir die Sprache. Jetzt geht es erst richtig los! Die Nebelschwaden bewegen sich immer schneller, werden heller und nehmen klare Formen an, erstrahlen selbst fürs bloße Auge kräftig grün. Sie schwingen hin und her, tanzen gar stürmisch übers Firmament. Ich lache. Ja, die Fotos lügen – denn kein einziges wird diesem Schauspiel gerecht.

Nordlichter – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Nach einer Stunde gucken und fotografieren wird es mir zu kalt. Ich schlüpfe zurück in den Schlafsack. Danke, Kungsleden, für das tolle Geschenk.

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Geschrieben
vor 15 Stunden schrieb dermuthige:

Ich murmele müde meinen Missmut in die Nacht. Doch dann verschlägt es mir die Sprache. Jetzt geht es erst richtig los! Die Nebelschwaden bewegen sich immer schneller, werden heller und nehmen klare Formen an, erstrahlen selbst fürs bloße Auge kräftig grün. Sie schwingen hin und her, tanzen gar stürmisch übers Firmament. Ich lache. Ja, die Fotos lügen – denn kein einziges wird diesem Schauspiel gerecht.

Danke für dieses tolle Foto und den dazugehörigen Reisebericht. Ich hoffe auch sehr auf meiner NPL-Tour im September solch schöne Nordlichter sehen zu können. 

Jedoch habe ich eine Frage zu deinen Fotos: Du schriebst zuerst, die grünen Schleier wären mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen gewesen, bis die Intensität anstieg. Ist das grün dieser Nordlichter tatsächlich so intensiv, wie auf deinem Foto oder wird es durch die professionelle Kamera verstärkt? 

Geschrieben
vor 2 Minuten schrieb Mia im Zelt:

Ist das grün dieser Nordlichter tatsächlich so intensiv

Die Kamera hilft natürlich, das ganze in Szene zu setzen. Berge, Bäume, Spiegelung? Das habe ich mit bloßem Auge kaum wahrgenommen. Aber gegen das Schwarz des Himmels heben sich die Lichter besonders gut ab, daher ja: Sie waren tatsächlich kräftig grün. Und durch ihre Bewegung noch viel eindrücklicher, als das Bild es vermuten lässt. 

Ich hatte mich auch an einer kleinen Timelapse versucht. Geht besser, aber hilft es zu verdeutlichen: Über dem Berg sind die Lichter besonders intensiv, dort konnte ich sogar ein paar der pinken Streifen mit dem Auge erkennen. Oben sind sie schwächer, wurden später aber intensiver und haben mehr Form angenommen.
 

 

 

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Tag 2: Rote Wolken

Ich friere. Immer wieder wache ich auf, ziehe Schicht um Schicht mehr an, selbst die Daunenjacke reicht nicht aus. Ich rücke die Kapuze tiefer ins Gesicht und versuche, die Kälte wegzudenken. Wird das jede Nacht so, vielleicht noch kälter? Die Nächte werden jeden Tag länger, ich ziehe nordwärts und in die Höhe. Habe ich mich in der Temperatur verkalkuliert, wird das hier echt kein Spaß.

Ohne Wecker stehe ich auf, vermutlich gegen 6:00 Uhr. Mein Zelt ist innen und außen von dünnem Eis überzogen, auch das Wasser zwischen den Steinen am Ufer gefriert. Ich zwinge meine kalten Finger ein paar Fotos zu schießen, dann enteise ich das Zelt. Warmes Blut prickelt zurück in meine Glieder. Frühstück, dann los.

Nebel am Morgen © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Bald kommen mir die ersten Menschen entgegen. Die meisten laufen südwärts, ich kann der Idee wenig abgewinnen. Ich habe die Sonne lieber im Rücken, statt von ihr geblendet zu werden. "Nice pack!", zerrt mich jemand aus den Gedanken. Wer erkennt denn schon meinen Rucksack, ein Ultralight-Wanderer? Ja, und YouTuber mit Kameraausrüstung zugleich! Der Italiener erzählt mir, gestern Nacht seien es -4°C gewesen. Wir fachsimpeln kurz über unser Gear (ich trage einen Atom Packs, er einen Yamatomichi), dann ziehen wir in entgegengesetzte Richtungen weiter.

Mein Atom Packs © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Wenig später führt eine kleine Abzweigung nach Parte, einer Halbinsel, auf der ein paar Hütten stehen: zum Schlafen, fürs Feuerholz und fürs ... Geschäftliche. Ich erleichtere mich direkt daneben am ausgewiesenen "Gentlemen's Loo", einem Baum. Ein Stück Seife liegt parat, ebenso ein Eimer mit Wasser. Ich folge der angepinnten Anleitung, schöpfe etwas Wasser in die montierte Konservendose und wasche mir die Hände unter dem Loch, aus dem das Wasser sickert.

Während ich weiterlaufe, krame ich ein paar Snacks aus der Bottom-Pocket meines Rucksacks. Ich mache selten längere Pausen, da ich schon oft genug mit der Kamera stehen bleibe. Also esse ich einfach unterwegs. Alle ein bis zwei Stunden gibt es kalorienreiche Leckereien: Nüsse, Schokolade, von Schokolade umhüllte Nüsse, diverse Riegel und ein bis zwei getrocknete Mangostreifen. Ich kaue ein wenig, da höre ich hinter mir bekannte Stimmen. Eine Gruppe Deutscher nähert sich. Ich habe sie gestern im Bus kennengelernt, fünf junge Studenten, die sich auf eigene Faust durch den Nationalpark Sarek schlagen wollen. Wir tauschen uns kurz aus, sie haben gestern am Lagerfeuer die Nordlichter beobachtet.

Weg im Wald © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Ein Schild heißt mich im Sarek willkommen. Ja, auch der Kungsleden führt durch diesen Nationalpark. Zumindest für einen Tag. Die Grenze wirkt gut gewählt, denn als der Weg ansteigt, verändert sich die Landschaft rasch: Aus Nadelwald wird Mischwald, aus Mischwald Laubwald. Dann gar kein Wald: Ich habe das Fjäll erreicht. Vor mir liegt ein bunter Heideteppich, hinter mir führt der Blick ins Tal. Zwischen den grünen Fichten und Kiefern sprießen Birken in die Höhe. Manche leuchten bereits gelb, ihr rotes Gewand folgt hoffentlich bald.

Bunte Bäume © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Hoch, über den Hügel und wieder runter: Heute möchte ich Strecke machen. Hier oben gibt es schöne Lagerplätze, aber der Schrecken der kalten Nacht treibt mich in tiefere Ebenen. Am besten zum nächsten See: dem ersten von vieren, die ich auf meiner Tour überqueren muss. Schaffe ich es bis 17:00 Uhr? Dann fährt das Motorboot nach Aktse. Doch ich werde langsamer, Füße und Rücken schmerzen. Egal, weiter. So spare ich mir immerhin morgen früh den Stress, zur 9:00-Uhr-Überfahrt zu hetzen. Man kann auch rudern, aber allein bei Wind und Wetter?

Bach © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Als ich den See erreiche, verschwindet das Motorboot gerade hinter einer Insel – auf und davon. Die Deutschen treffen ein, sie haben sich ebenfalls durchgekämpft. Wir besprechen die Lage, sie hätten für mich Platz im zweiten Ruderboot. Insgesamt liegen drei bereit. Ein Glück für uns: Denn laut der Infotafel gibt es ingesamt nur drei Boote und eigentlich muss immer mindestens eins auf jeder Seite bleiben. Wer das letzte nimmt, muss mit einem zweiten im Schlepptau zurückfahren, es am ersten Ufer festmachen und ein drittes Mal übersetzen. Doch ein starker Wind zieht auf, möglicherweise sogar ein Sturm – wir wollen es nicht drauf ankommen lassen. Die Gruppe zieht sich in den Wald zurück, ich geselle mich zu einem weiteren Deutschen in die Schutzhütte am Ufer.

Während ich mein Abendessen koche, verfasse ich eine Nachricht auf meinem Garmin InReach Mini. Täglich sende ich Familie und Freundin eine Nachricht samt Standort. Sollte etwas passieren, würde man mich auf dem Kungsleden zwar finden – aber für mich ist es auch eine Übungstour für abgelegenere Reisen. Es dauert eine ganze Weile, bis die Nachricht endlich rausgeht. Gut, dass ich das teste. Im Ernstfall hätte mich sonst die Panik gepackt.

Zitat

"Gestern Nordlicht, toll! Heute schön durch bunten Wald und Hügel. Schlafe in kl. Schutzhütte am See ggü. Aktse. Mir geht's gut, schön hier!"

Jetzt ab in den Schlafsack. Das waren eindeutig zu viele Kilometer für den zweiten Tag gewesen, habe keine Energie mehr für Fotos. Graues Licht und unruhiges Wasser bieten eh nicht viel für die Linse, rede ich mir ein. Ich unterhalte mich mit dem Deutschen in der Schutzhütte. Beeindrucke, teils aberwitzige Geschichten. Er habe gestern zwei Adler und einen Polarfuchs gesehen, zeigt mir knapp tausend Fotos – nur keins von den Tieren. Ein Schwätzer? Ich vermisse die Ruhe meines Zeltes.

Irgendwann blicken wir aus dem Fenster. Der Himmel glüht! Der Anblick verschafft mir neue Energie. Ich schlüpfe aus dem Schlafsack und in die Schuhe, renne ans Ufer, suche ein Bild. Die Studenten sind auch schon da, alle starren in den Himmel. Die Wolken leuchten in so einem tiefen Rot, das habe ich noch nie gesehen. Ich löse mich aus dem Bann, ein erster Schnappschuss, suche hektisch nach einer besseren Komposition. Als das Licht beginnt zu schwinden, löse ich aus.

Rote Wolken © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Abendlicht am See © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Und damit: Gute Nacht. Wenn nur die Magenkrämpfe nicht wären ...

Bearbeitet von dermuthige

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Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb Mia im Zelt:

Jedoch habe ich eine Frage zu deinen Fotos: Du schriebst zuerst, die grünen Schleier wären mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen gewesen, bis die Intensität anstieg. Ist das grün dieser Nordlichter tatsächlich so intensiv, wie auf deinem Foto oder wird es durch die professionelle Kamera verstärkt? 

Ja, die sind so bzw. können so sein. Ich hatte bisher nur einmal das Glück, diese deutlich grünen, schnell flitzenden zu sehen, ansonsten waren es die Nebelstreifen-Ähnlichen, auch schon faszinierend.

Geschrieben

Starke Bilder! Respekt auch an dieser Stelle mal, dass du dafür Bereit bist die 3kg+ Fotoausrüstung mitzunehmen

OT: Kurze OT Frage: Wie hat sich der Mo bei dem relativ hohen Gesamtgewicht am Anfang so geschlagen?

Geschrieben

@FastULi OT: Danke dir! Der Mo hat sich super geschlagen. Allerdings war auch nicht alles Gewicht im Rucksack: Die Kameraausrüstung trage ich in einer selbst genähten Tasche vor der Brust, siehe hier. Da die Schlaufen an den Schultergurten, wo ich die Tasche befestige, nicht auf der exakt gleichen Höhe festgenäht sind, wurde eine Schulter leider mehr belastet. Das werde ich vor der nächsten Tour anpassen. 

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Tag 3: "Great spot!"

Mal schlafe ich, meist krampft mein Magen. Ich wühle hin und her, suche eine Position, die Abhilfe schafft. Vergeblich. Habe ich schlechtes Wasser getrunken? Hätte ich doch den Wasserfilter mitnehmen sollen, entgegen allen Wanderberichten, hier oben sei nichts zu befürchten? Dass mein Erste-Hilfe-Set etwas für Magenprobleme bereithält, vergesse ich ganz unter der Angst, der Weg wäre hier für mich vorbei.

In den frühen Morgenstunden entspannt sich die Lage. Wahrscheinlich war mein Körper das trockene, fettige Essen bloß noch nicht gewohnt und wollte ein bisschen meckern. Gegen 7:00 Uhr wache ich auf und packe langsam zusammen. Auch mein Hüttenpartner setzt sich auf und bereitet sein Frühstück zu. Bei mir geht mal wieder nichts über Kalorien und Nüsse, wenn auch ohne Schokolade: Ein leckeres Müsli aus Nüssen, Samen und Apfelringen.

Wir lassen gerade die Ruderboote ein, als das Fährboot kommt und ein paar Südwärtige absetzt. Wir fühlen uns abenteuerlustig, also verzichten wir auf die Wasserkutsche. Wir wollen uns den Einstieg einfach machen und ziehen unser Boot an den Steg. Aber das gefällt dem Fährmann gar nicht: „No, no, not for you!“, schimpft er und wedelt heftig mit den Armen. Na gut, zurück zu den rutschigen Steinen. Kaum sind wir unter seiner peniblen Beobachtung zwei Paddelschläge weit gekommen, murrt er weiter: „Life vests! Where are your life vests?!“ – und fährt ohne weitere Hinweise davon. Ja, gute Frage, wo? Wir haben keine gesehen. Die Bootshütte ist geschlossen, sonst gibt es nur eine Kiste mit der Aufschrift „Sand“, die wird es wohl kaum sein.

Boot – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Es muss auch ohne gehen. Unsere Freunde im ersten Boot sind schon los, das Motorboot ist nun auch weg, das Wasser wirkt ruhig, das Wetter gut. Und falls was schiefgeht, können wir uns immer noch auf eine der Inseln im See retten. Hier führt der Weg eh vorbei, den uns ein paar Bojen markieren. Als wir unsere kleine Bucht verlassen, merken wir schnell: Es ist windiger (und dadurch wilder) als gedacht. Die Bojen sind kaum mehr auszumachen, die kleinen Wellen blockieren häufiger die Paddel, es spritzt ins Boot. Gut, dass wir Regenjacken anhaben! Wir wechseln uns ab, das Ganze macht ordentlich Spaß. Nach einer Dreiviertelstunde erreichen wir das andere Ufer, rund vierzig Minuten später als das Motorboot. Hier liegt noch ein weiteres Ruderboot, es gab also insgesamt vier.

Es ist 10:00 Uhr. Höchste Zeit, auch an Land ein paar Kilometer hinter uns zu bringen. Zunächst erreichen wir Aktse, das kleine Hüttendorf über dem See. Ein kleiner Laden, Picknicktisch und warme Sonnenstrahlen laden uns zu einer ungeplanten Pause ein. Wir legen ein paar Sachen zum Trocknen aus und unterhalten uns mit den letzten Langschläfern, die hier genächtigt hatten. Ich kauf drei Teebeutel für den Preis von drei Teepackungen, einfach weil ich finde, es gehöre dazu, in einem der Hüttenläden etwas zu kaufen. Doch lange genug für eine Tasse Tee kann ich die Füße nicht mehr stillhalten und ziehe los.

Aussicht – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Auf dem nächsten Hügel wartet eine Wanderkreuzung. Der Kungsleden führt geradeaus, von links ruft Skierffe, der Berg mit der besten Aussicht weit und breit. Diesen Abstecher lässt sich hier niemand entgehen. Abseits vom offiziellen Weg muss ich mir einen Pfad durch Morast kämpfen, bevor es endlich steiniger wird. Ich blicke in ein langes Flussdelta, gespickt von bunten Bäumen. Was ein Anblick! Eine Familie schlägt hinter einem riesigen Felsbrocken windgeschützt ihr Lager auf. Ich beneide sie. Ob ich später auch so einen tollen Platz finde?

Wohl kaum. Schöner (und damit am schönsten) ist es nur auf dem Gipfel. Die Versuchung, hierzubleiben ist groß: Der Blick ins Tal ist wunderschön und ich würde ihn unglaublich gern im roten Abendlicht erleben und fotografieren. Es ist aber viel zu windig, als dass ich hier zelten wollte – nicht zu vergessen die Absturzgefahr bei Nacht. Auch bis zum Abend zu bleiben, ist mir zu riskant, da ich nicht im Dunkeln den Weg zurück durch den Morast suchen möchte. Ich verfluche meine Vernunft. Immerhin, mit meinem Teleobjektiv gelingen mir auch jetzt ein paar schöne Aufnahmen.

Aussicht 2  – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Aussicht 3 – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Aussicht 4 – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Die Jungs stoßen dazu. Ein Gruppenfoto, dann müssen wir uns verabschieden: Sie schreiten tiefer in den Sarek hinein. Und ich? Könnte querfeldein abkürzen und direkt zum nächsten See wandern. Aber mein Wasser ist knapp und ich möchte mich nicht auf unsichere Quellenlagen stützen. Ich trete also den Rückweg an. Nach einer halben Stunde kommt ein Bach, das wird mir bis zur Kreuzung reichen. Und wenn ich dort zelte, kann ich vor dem Kochen fix ohne Rucksack ein Stück Richtung Aktse hinunterlaufen, da hatte ich noch einen Bach gesehen. 

Sarek – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Ich verwerfe meinen Plan: Die Familie ist fort, der schöne Platz ist frei! Hier muss ich einfach bleiben. Zum Abendessen reicht mein Wasser noch, das Frühstück muss ich halt trocken schlucken. Ich entfache ein kleines Feuer. Es kämpft mit dem Wind, aber der Windschirm meines Kochers hält es tapfer am Leben. Zwei letzte Wanderer laufen vorbei. "Good spot!", ruft einer. Ja, der beste meines ganzen Weges.

Good Spot – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Ich starre in die Ferne und lasse meine Gedanken treiben, bis es dunkel wird. Zeit, das Feuer zu löschen.

Aussicht mit Feuer.mov

 

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Geschrieben

Tag 4: Der lange Marsch

Mit trockener Kehle wache ich auf. Ich greife zur Wasserflasche und nehme den letzten Schluck. Der Kaffee muss wohl warten! Da es draußen prasselt und ich den Kocher nicht brauche, frühstücke ich im Zelt. Ich öffne die Tür und spähe hinaus. Dichter Nebel, keine Aussicht. Ich lache. Genug von der Sonne, endlich zeigt der Kungsleden sein wahres Gesicht! Ich ziehe die Regenjacke über, packe zusammen und ziehe los. Es dauert nicht lang, dann lichtet sich der Nebel.

Nebel – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

An der Kreuzung bleibe ich stehen. Ich möchte ungern den unnötigen Weg nach unten laufen, um Wasser zu holen. Oben gibt es bestimmt auch eine Quelle? Ich frage ein französisches Wandertrio, das gerade aus ihren Zelten klettert. Sie wissen es auch nicht, laufen in die gleiche Richtung. Logisch, denke ich später, ich kenne sie ja: Sie hatten in der ersten Nacht in meiner Nähe gezeltet und geangelt.

Im Niesel stapfe ich voran. Ich mag das: Bei diesem Wetter verfalle ich in eine Art Trance, setze automatisch Schritt um Schritt und ziehe mich in meinen Kopf zurück. Bis mich eine Bewegung im Augenwinkel stutzig macht: Zwischen den bunten Sträuchern stolziert ein Rentier. Nein, nicht eins – bestimmt ein ganzes Dutzend. Ich beobachte sie fasziniert, bis sie hinter einer Hügelkuppe verschwinden. Dann schreite ich selbst über eine Hügelkuppe. Ich kann meinen Augen nicht trauen: Bestimmt 200 Tiere ziehen vor mir durchs Fjäll.

Rentiere – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Leider erzählen die Rentiere mir nicht, wo es Wasser gibt. Allen Reiseberichten zufolge quillt der Kungsleden vor Bächen nur so über, aber dazu braucht es wohl entweder Schmelzwasser oder vernünftigen Regen. Fürs erste ist das Wetter zu kalt, fürs zweite immer noch zu gut. Ein netter Wanderer verrät mir endlich, unten im Wald sei eine gute Quelle. Bis dahin sei es aber noch eine gute Stunde. Ich danke also und eile davon. Doch zuerst erinnert mich ein Schild daran, meine Überfahrt über den nächsten See (Sitojaure) zu buchen:

Zitat

If you want to cross the lake, the boat departures at 8.15 & 17.15. You always have to prebook the boat. There are no rowing boats on Sitojaure. This is the last point where you have connection. If you want to go/cross the lake outside schedule, you have to get it confirmed from us. You can call us or write a text message.

Hier oben habe ich tatsächlich Empfang. Ich wähle die Nummer und sichere mir einen Platz für 17:15 Uhr. Dann geht es steil runter, hinein in einen kleinen Birkenwald. Der Himmel bricht auf, die Sonne scheint, mir wird warm. Bis zum Boot habe ich viel Zeit, also erkunde ich ein wenig die Gegend. Abseits des Weges entdecke ich einen kleinen See, hier habe ich tolle Sicht auf die Berge in der Ferne. Mir gelingt ein Foto, dann suche ich den Bach und nehme ein paar durstige Schlucke.

Regen – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Ein weiteres Schild verrät mir, es seien noch 4 Kilometer bis zum Sitojaure. Doch nach 20 Metern stehe ich schon am Ufer: Es sind wohl 4 Kilometer über den See, nicht bis zum See. Dann heißt es jetzt wohl warten. Oder? Am Ufer sitzen bereits ein Israeli, zwei Briten und eine Britin. Letztere erzählt, sie habe ein zusätzliches Boot für 13:00 Uhr gebucht. Mal schauen, vielleicht kann ich da schon mit. Der Israeli harrt schon seit 8:30 Uhr am See aus, er hatte die Fahrt am Morgen knapp verpasst. "I'm sick of looking at this lake", kommentiert er trocken. Ein älteres Paar gesellt sich zu uns, das Angeltrio stößt auch dazu. Dann kommt schon das Boot, ein Passagier trägt einen Atom Packs. "Nice pack!", rufe diesmal ich.

Das wird eng. Zu eng, korrigiert mich der Fahrer. Er könne nur neun von uns mitnehmen, da er nicht genug Schwimmwesten habe. Der Israeli bietet sich an, zurückzubleiben. Alle protestieren. Doch selbst als sich eine zehnte Weste in einer Kiste am Ufer auftreiben lässt (hier verstecken sie sich also doch!), weigert er sich – möchte vermutlich nicht die 10 € Aufpreis zahlen. "No problem, I'll take the later boat and just walk at night." Na gut.

Die Bootsfahrt ist schön, deutlich schneller als ein Ruderboot, aber die gibt es hier ja eh nicht. Dann werden wir langsamer. Vorsichtig navigiert der Fahrer entlang einer Route, die er im Sommer abgetaucht und mit Stäben markiert hat. Im September sei der Pegel immer niedrig, da mit der Kälte das Schmelzwasser ausbleibe, also müsse er wegen der Steine im Wasser aufpassen, erklärt er. Aktuell sei es besonders schwierig, da das Wasser wegen heftiger Regenfälle im August sehr trüb sei.

Der Motor bricht ab. Dem Fahrer ist es sichtlich unangenehm, füllt aber schnell aus einem Benzinkanister nach. Normalerweise nehme er das größere Boot und kontrolliere dort regelmäßig den Stand, aber da eigentlich nur eine Person den extra Trip gebucht hatte, war er aufs kleine Boot ausgewichen. Macht ja nichts, wir freuen uns alle, ein paar Stunden gespart zu haben! Am anderen Ufer zahlen wir für die Fahrt, ich krame mein Bargeld hervor. Zum Glück nimmt er es an, das ist hier oben keine Selbstverständlichkeit: In der schwedischen Wildnis ist Kartenzahlung bereits beliebter als in einer deutschen Großstadt.

Raue Landschaft – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Am anderen Ufer bietet die Landschaft ein neues Bild, wird langsam rauer. Dazwischen die Idylle: Schöne Teiche mit hohem Gras, vereinzelte Gruppen von Rentieren. Links von mir erstreckt sich ein wunderschönes Tal im Tal, wie eine kleine Schlucht. Ein langer Bach zieht sich durch, hier blüht die grüne Vegetation, vereinzelte bunte Bäume. In schönem Licht könnte ich mich hier nicht sattsehen. Doch es verdunkelt sich, die Wolken ziehen zu. Alle Bilder werden langweilig, ihnen fehlt das Leben. Kann ja auch mal sein, bisher war das Wetter für den Kungsleden eigentlich viel zu gut!

Der Weg führt Richtung Saltoluokta. Ich wollte eigentlich irgendwo auf halber Strecke schlafen, um am nächsten Morgen den Rest zu wandern und die Überfahrt um 15:00 Uhr zu erwischen. Denn am dritten See gibt es wieder keine Ruderboote, dafür aber eine richtige Fähre. Doch ich bin gut in der Zeit, also lasse ich meine Füße treiben. Vielleicht schaffe ich schon die Fähre um 10:00 Uhr.

Kilometer um Kilometer zieht dahin. Keine tollen Blicke, kein tolles Licht, also verstecke ich mich wieder in meinen Gedanken und lasse meine Füße treiben. Ich laufe immer weiter, Schritt um Schritt und ohne Pause, selbst als die Füße langsam stoppen möchten. Bis ich am frühen Abend einen See erblicke: Hier geht es endlich runter nach Saltoluokta.

Einsamer Berg – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Mein langes Tal geht zu Ende, neue Blicke öffnen sich. Berge in der Ferne, kleine Seen zu meiner Linken. Die Sonne bricht heraus. Ich schieße ein Foto einer einsamen Bergspitze. Es hat sich gelohnt, durchzuziehen. Das Tal hinter mir liegt im Schatten, dort bleibt es jetzt duster. Doch hier ist mein Glück noch nicht zu Ende. Das neue Tal bietet einen Pfad für die Sonne und schenkt mir später die Sicht auf orange schimmernde Wolken.

Sonnenuntergang – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

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Das Zelt steht. Noch ein paar Fotos, Nachricht an die Liebsten, Essen. Dann sinke ich zufrieden ins Bett – der Kungsleden ist einfach spitze.

Ich habe ja keine Ahnung, dass der nächste Tag alles noch übertreffen wird ...

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Tag 5: Unverhoffte Gemeinschaft

Jeder Tag bietet Neues: Erst Nordlichter, dann rote Wolken und einmalige Blicke, gestern Rentiere. Und heute? Geht es weiter mit Gemeinschaft, dem größten Geschenk des Weges – und das, obwohl ich bewusst alleine wandere. Doch zunächst schlage ich mich nach einer warmen Nacht aus dem Schlafsack, strecke mich und bewundere einen Regen-, nein, Nebelbogen, der sich seinerseits über meinem Zelt erstreckt.

Nebelbogen – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Die Luft ist frisch und feucht. Ich genieße sie erst beim Kaffee, dann bergab im verwunschenen Wald. Der schwere Nebel hebt einzelne Bäume aus dem Chaos des Dickichts hervor, überall lauern Fotomotive. Ich könnte hier Stunden mit meiner Kamera verweilen, doch vermutlich verzieht sich der Nebel gleich eh. Ich entdecke ein Auerhuhn (?), dann erreiche ich Saltoluokta.

Auerhuhn? – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Mich erwartet keine gewöhnliche Fjällstuga, also eine Berghütte, sondern eine Fjällstation. Ein riesiger Hüttenkomplex, in dem ich mich direkt verlaufe. Den Schildern zur Fähre folgend lande ich an einem Strand, leider dem falschen. Zurück, erstmal die Toiletten suchen. Und wo bekomme ich eigentlich ein Fährticket? Ich schaue in die größte Hütte hinein. Irre! Volles Frühstücksbuffet, Socken, Pullis, hier gibt es alles, ja, sogar mein Ticket. Diesmal finde ich auch den Fährsteg.

Wald – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

In einer Stunde geht's los, nach und nach treffen mehr Leute ein. Manche kenne ich schon: den Israeli, die zwei Briten, die Britin und das französische Trio. Wir klettern auf die Fähre, suchen uns Plätze und unterhalten uns gemütlich. Dann geht es runter von der Fähre und rein in den Bus – diese Verbindung ist bewusst so angelegt, denn der Kungsleden startet erst wieder 30 Kilometer die Straße hoch. Ein Glück, dass ich gestern durchgezogen habe: Der passende Bus zur 15:00-Uhr-Fähre bringt Leute aus dem Norden nach Saltoluokta und fährt in die falsche Richtung weiter.

Saltoluokta – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Ich sitze neben einem Kanadier. Er schläft nur noch in den Hütten, denn er ist endlos begeistert von den Trockenräumen und Saunen. Plötzlich hält der Bus, eine Stunde Aufenthalt. Mitten im Nirgendwo? Nicht ganz: Hier gibt es ein Café, schön eingerichtet, ruhige Musik dringt nach draußen. Mit dem Kanadier geselle ich mich zu den Briten und der Britin, der Israeli stößt später dazu. Wer alleine zeltet, kann sich selten austauschen, jetzt ist endlich Gelegenheit. Wir sprechen über unsere mitgebrachten Mahlzeiten. Ich habe ein paar kalorienreiche Rezepte von Backcountry Foodie zubereitet. Meine Empfehlung: Tomato Pesto Ramen!

Bei Vakkotavare springen wir erneut aus dem Bus. Mittlerweile ist es Mittag, der Himmel ist blau, die Sonne strahlt. An einem tosenden Wasserfall vorbei geht es steil den Berg hinauf. Ich laufe neben dem Kanadier, wir schwitzen stark. Als ich Fotos schieße, zieht er davon, möchte das nächste Boot um 17:00 Uhr erwischen. Denn ja, wir haben noch einen See zu überqueren! Aber es ist der letzte, dann ist der Stress vorbei. Ich weiß noch nicht ganz, wie weit ich heute gehe – das hängt ganz von den Blicken und meinen Fotoplänen ab.

Blick – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Die Landschaft? Unglaublich. Der Weg durchzieht grüne Hügel, in der Ferne glänzen schneebedeckte Gipfel, überall wedelt Wollgras im Wind, hier und da grasen Rentiere. An einem großen Strom mache ich Pause und lege mein Zelt zum Trocknen aus. Wie wär's mit einer kurzen Wäsche? Nacheinander schrubbe ich Füße, Beine, Arme und Oberkörper, dann stecke in den Kopf ins Wasser. Puh, ist das kalt! Ich wärme mich in der Sonne auf, dann krame ich die Sonnencreme aus dem Rucksack.

Die Britin kommt vorbei und erkundigt sich nach meinem Atom Packs und der Kameratasche. Die habe ich selbst genäht, um die Kamera stets griffbereit vor der Brust zu tragen. Tatsächlich bleibt MYOG heute ein größeres Thema. Später laufe ich mit einem Schweden zusammen, habe ihn auf seinen HMG-Rucksack angesprochen, dann verfallen wir lange ins Gespräch. Er näht gerade ein Zelt, ich habe ebenfalls ein unfertiges zuhause liegen, wir bewundern die Landschaft und tauschen Reisepläne aus. Vielleicht läuft er mal den Camino, mir empfiehlt er Bornholm zur Osterzeit. Irgendwann treffen wir aufs französische Trio. Ich zeige ihnen ein Bild von der ersten Nacht, auf dem ich sie im Nachhinein entdeckt habe.

Landschaft – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Als die Sonne hinterm Fels verschwindet, beginnt der Abstieg. Ich schreite durch einen lichten Wald. Auch hier könnte ich Stunden verbringen, die Birken leuchten allesamt im tiefen Gelb, ein oder zwei tragen schon rotes Laub. Wenn es doch jetzt noch neblig wäre! Sollte ich bis hier schlafen und auf die Morgenstimmung hoffen? Nein, ich bin schon fast am See. Besser, ich bringe die letzte Überfahrt hinter mich. Ab dann zelte ich, wo ich will, Zeit habe ich genug.

Der Schwede bleibt zum Schwimmen an einem Teich, das französische Trio erreicht direkt nach mir den See. Er ist völlig ruhig, die Überfahrt nur kurz. Wir wollen rudern! Ich ziehe meine Handschuhe an, damit ich nicht wieder Blasen an den Händen bekomme, und kutschiere zwei der Franzosen mit dem einzigen Ruderboot nach drüben. Sie kehren mit zwei Booten zurück, um ihre Freundin abzuholen und ein Boot am anderen Ufer zulassen. Doch mittlerweile sind mehr Leute angekommen, so geht das Hin- und Hergepaddle noch eine Weile weiter.

Ich hatte vorhin ein Paar Socken im Strom gewaschen und bin zum ersten Mal mit meinen Sealskins gelaufen. Leider brechen sie ihr trockenes Versprechen: Als ich nach der Überfahrt zuversichtlich mit den Zehen ins Wasser trete, sind meine Füße sofort nass. Zu allem Überfluss ist das andere Paar noch nicht getrocknet, insgesamt eine klitschig-kalte Angelegenheit. Der Kanadier rät mir zum Trockenraum, die beiden Briten berichten von einer Sauna. Meine Entscheidung ist gefallen: Ich zahle 300 Kronen, um in Teusajaure zu zelten.

Die Socken hängen, das Tomato Pesto ist verzehrt. Heute Abend mache ich keine Fotos – jetzt ist Pause angesagt! Ab in die Sauna. Ah, so lässt es sich gut wandern. Ich versuche, mich im See abzukühlen. Aber noch bevor ich richtig drin bin, schmerzen meine Füße so sehr von der Kälte, dass ich zurück in die Sauna haste. Für den Abend habe ich mich mit dem Kanadier, den Briten und der Britin in einer der Hütten verabredet. Der Schwede und das Trio zelten etwas höher auf dem Berg, der Israeli ist längst davon.

Ich! – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Die meisten anderen Leute schlafen schon, als wir uns bei flackerndem Kerzenschein und wohliger Holzofenwärme an den Hüttentisch setzen und gemütlich plaudern. Es wird ein witziger Abend voll spannender Wandergeschichten. Irgendwann schauen wir aus dem Fenster. Sind das ... Nordlichter?! Ein grüner Schein dringt bis zu uns hinein, etwas später trauen wir uns in die Kälte. Diesmal halte ich mein eigenes Versprechen und lasse die Kamera liegen, heute genieße ich einfach die Sicht. Naja, bis auf einen Schnappschuss aus der Hand durchs Fenster. Und ein schnelles Video mit der Pocket-Kamera gibt's auch ...

Nordlicht im Fenster – © Jacob Muth / www.dermuthige.de

Der Himmel tobt. Die Lichter strahlen so hell wie in der ersten Nacht, zucken aber noch viel stärker übers Firmament. Es scheint wirklich, als würden Götter und Geister über den Himmel jagen und miteinander tanzen. Einfach magisch, einfach unglaublich. Unsere Nacken werden schon starr, aber es hört einfach nicht auf. Irgendwann reißen wir unsere Blicke los und fliehen ins Warme. Wir flüstern im Dunkeln, setzen uns vor den Holzofen und starren in die Glut – alle mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht.

Diese Nacht werden wir nie vergessen.

Bearbeitet von dermuthige

Meine ultraleichten Kamerataschen: www.leichtmut.de

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