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Ultraleicht Trekking

dermuthige

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Alle erstellten Inhalte von dermuthige

  1. Ich bin kein Experte, was Versicherungen oder Vertragstexte angeht. Ich weiß weder, wie grob oder ungenau oder irreführend so etwas verfasst sein darf, noch wie so etwas im Streitfall ausgelegt wird. Aber, um mal die kritische Gegenposition einzunehmen: Ich finde nicht, dass sich die Versicherung deiner aufgelisteten Beispiele eindeutig aus den AVS ableiten lässt. Versichert sind die "nachstehend genannten Alpinsportarten". Für diese jeweiligen Alpinsportarten sind Beispiele aufgelistet. "Trekking" ist als Unterpunkt der genannten Alpinsportart "Bergsteigen" erwähnt. Daraus würde ich nicht zwangsläufig ableiten, dass es eigenständig als eine der "nachstehend genannten Alpinsportarten" zählt. Man kann es auch als "Trekking im Kontext von Bergsteigen" verstehen. Wie gesagt, bin kein Experte. Ich denke nur, wenn man Trekking explizit versichern wollte, hätte man es sehr einfach viel deutlicher aufschreiben können. Dass das nicht passiert ist, stimmt mich skeptisch. Denn mit so einer einfachen, expliziten Änderung könnten womöglich sehr viele Leute abgeholt werden, die dann Geld in die Versicherung einzahlen würden.
  2. Trockene Schlafsocken sind auf jeden Fall ein guter Hinweis! Zu meinem Unglück hatte ich ja genau an dem Tag mein anderes Paar Socken gewaschen, so waren beide nass. Ohne den Trockenraum wäre das ungemütlich geworden. In Zukunft werde ich wohl gesonderte Schlafsocken einplanen und besonders gut hüten! Deinen Reisebericht habe ich auch gelesen – war fasziniert, wie anders der Kungsleden grün (und nass ) im Sommer wirkt.
  3. Ich plane über ut.no/kart gerade eine Tour durch die Hardangervidda. Weiß jemand, ob es irgendwo eine halbwegs zuverlässige Übersicht über die Längen der einzelnen Abschnitte der Sommerwanderwege gibt? Ich kann in dem Tool zwar mit dem Lineal zwar Strecken nachziehen und grobe Angaben erhalten, aber über mehrere Tagesetappen erhalte ich im Vergleich zu diversen Reiseberichten Unterschiede in der Größe einer ganzen Tagesetappe EDIT: Hat sich erledigt! Habe die Route in Komoot nachgebaut. Das grobe Lineal lag gar nicht so weit daneben.
  4. @Breaze Ich hatte den Schirm hauptsächlich dabei, um bei Regen weiterhin fotografieren zu können. Da es tagsüber maximal genieselt hat, habe ich ihn leider gar nicht eingesetzt. Die Winde waren aber nicht besonders stark, die hätte ich ihm durchaus zugetraut. Kann also gut sein, dass du mit deinem Schirm gut klarkommst. Ich nehme meinen Schirm auch wieder mit in die Hardangervidda. Falls ich da Wind und Wetter erleben darf, kann ich danach vielleicht mehr berichten.
  5. @FastULi Mein Paar war definitiv von innen nass, ohne dass Wasser über den Bund hineingelaufen wäre. Sie müssen also undicht gewesen sein. Hatte sie ein paar Stunden vorher übergezogen, nachdem ich mein normales Paar gewaschen hatte. Gut möglich, dass ich einen kleinen Kiesel im Schuh hatte, der die wasserdichte Schicht beim Laufen durchstochen hat. Aber wenn das so schnell passiert, ist das für mich schon Grund genug, den Socken nicht zu vertrauen. Vielleicht hatte ich auch einfach ein Montagsmodell. Habe auch viele positive Berichte gelesen, daher war ich sehr überrascht davon. Würde aber definitiv empfehlen, sie zuhause gründlich zu testen.
  6. Gear Review: Atom Packs Mo 50L: Es war meine erste längere Tour mit diesem Rucksack und ich bin sehr zufrieden. Im Nachhinein hätte ich gern an beiden Schultergurten eine kleine Tasche, nicht nur rechts. Durston X-Mid 1P: Meine Zeltsuche ist beendet. Nachdem mir das Lanshan 1 zu eng und der Einstieg zu nervig war, bin ich aufs Lanshan 2 umgestiegen. Das Durston X-Mid bietet mir aber auch in der kleinen Version ausreichend Platz, große Apsiden, einen fantastisch schnell Aufbau und natürlich wieder weniger Gewicht. Für Skye mit meiner Freundin schiele ich auf die große Variante ... Cumulus Custom X-Lite 300 & MYOG Apex 100 Quilt: Eine gute, komfortable Kombi. Durch das doppelte Konzept war mein Schlafsack nie nass. Bei -4°C in der ersten Nacht musste ich mit Daunenjacke nachhelfen. Für den 2°C-Komfort-Daunenschlafsack allein wäre es zu feucht und zu kalt gewesen. Thermarest NeoAir XLite & 3mm Evazote: Die Evazote-Matte unter der NeoAir möchte ich nicht mehr missen. Zusätzliche Wärme, Sitzkissen und Backup, falls die Matte platzt. X-Boil 90-100 UL mit Esbit-Trockenbrennstoff und Toaks Light 550ml: Mein X-Boil-Kochsystem inkl. Toaks-Kochtopf wiegt nicht einmal 120g. Bin begeistert. Die Esbits lassen sich super einteilen, die 4g-Tabletten stinken auch nicht. Nur im Wind etwas lästig zu entzünden. Polartec Alpha Hoodie & Schlafhose: Bin sehr zufrieden, gemütlich, warm und leicht. Super zum Schlafen und als extra Schicht in der Kälte. Gemeinsam mit Windjacke top. Patagonia Houdini Windjacke Erste Wandertour mit Windjacke. Bin vom Konzept begeistert, gemeinsam mit Alpha Hoodie sehr flexibel einsetzbar. Werde mir eine leichtere MYOG-Version nähen. Wasserdichte Socken von Sealskinz: Mein einziger Reinfall. Zum ersten Mal angehabt, ins Wasser getreten, schon waren meine Füße nass. Werde Alternativen suchen und testen.
  7. Was für eine schöne Reise das doch war! Ich kann einfach nur sagen: Der Weg war unglaublich schön. Der Kungsleden hält, was er verspricht, und hat mir noch viel mehr gegeben. Er ist ein traumhafter Einstieg ins skandinavische Fjäll, ein sicherer Übungsplatz fürs Wandern mit Zelt, ein einsamer Weg durch die Wildnis und doch voller Gemeinschaft. Die Gemeinschaft, die ich erleben durfte, hat mich am meisten überrascht. Ich war bewusst alleine unterwegs, damit ich frei entscheiden kann, an schönen Blicken schon mittags mein Lager aufzuschlagen, um dort am Abend Fotos zu machen. Bloß der Stress der Seeüberquerungen hat mir hier einen Strich durch die Rechnung gemacht. Stattdessen hat er mich mit meiner Gruppe zusammengebracht. Genau gesagt habe ich der Fähre bei Saltoluokta zu danken, die nur einmal täglich auf den passenden Bus traf. So starteten an diesem Tag alle zur gleichen Zeit, wir waren wie ein kleine Schulklasse. Im Sommer, wenn mehr Fähren und Busse fahren, mag das anders sein. Doch dann ist Gemeinschaft eh vorprogrammiert. Im September, zum Ende der Wandersaison, hatte ich trotzdem viele Abschnitte für mich allein und konnte die schönsten Zeltplätze wählen. Der Herbst bringt Kälte, aber auch wundervolle Farben, am Boden wie am Himmel. Ich würde immer wieder zu dieser Jahreszeit wandern. Die Fotografie hat unter der Gemeinschaft ein wenig gelitten. Dafür haben wir viele schöne Stunden verbracht, an die ich mich gern erinnere. Die Luft zum Fotografieren war in den letzten Tagen eh ein wenig raus, hierfür war die Reise vielleicht ein wenig zu lang. Aber der Weg war mehr als nur ein Fotoabenteuer, er war auch eine Übungswanderung. Ich habe gelernt, dass ich zehn Tage lang unterwegs sein kann, ohne auf den Komfort von Hütten oder ihre Läden angewiesen zu sein. Das einzige, was mir noch wirklich fehlt, sind höllische Regentage. Sowohl auf dem West Highland Way als auch auf dem Kungsleden, beides notorische Sumpfwanderwege, habe ich hauptsächlich Sonne erlebt. Wie komme ich mit nassen Füßen klar? Hält meine Regenkleidung durch? Wie ergeht es mir im Sturm im Zelt? Das sind Fragen, die ich noch beantworten muss, bevor ich mich abseits belaufener Wege allein in die Wildnis traue. Vielleicht finde ich meine Antworten noch dieses Jahr. Im Sommer laufe ich durch die Hardangervidda, im September mit meiner Freundin über die Isle of Skye. Wie zum Kungsleden planen wir die An- und Abreise mit Bus und Bahn. Eine schöne Art zu reisen, die ich allen ans Herz legen möchte – auch unabhängig vom Klimagedanken. In den Nachtzug einsteigen, den Alltag hinter sich lassen, entschleunigen, ausgeschlafen aufwachen, toll. Ich betrachte Hin- und Rückweg nicht mehr als zeitstehlende Fahrerei, sondern als Teil der Erfahrung. Ich danke euch allen fürs Mitlesen, Mitfiebern, Mitstaunen. Es folgen noch ein paar Worte zu meiner Ausrüstung, dann war es das erstmal von meinem Fotoabenteuer auf dem Kungsleden. Wer noch einmal die schönsten Fotos meiner Reise auf einen Blick sehen möchte, ohne den ganzen Text – auf meiner Website habe ich ein kleines Album veröffentlicht: https://www.dermuthige.de/2022-kungsleden-landschaftsfotografie
  8. @RaulDuke, @Schwarzwaldine – ich danke euch fürs Lesen! Schön, dass es euch gefallen hat.
  9. Tag 9 und 10: Gemeinsam bis zum Schluss Ausgeschlafen öffne ich die Augen. Es ist 7:00 Uhr, in einer Stunde bin ich mit den anderen zum Frühstück verabredet. Bis dahin genieße ich die Aussicht und schieße ein paar Fotos. Wir lassen uns zum Frühstück Zeit, gehen den Tag entspannt an. Um 11:00 Uhr machen wir uns gemeinsam auf den Weg. Ab hier geht es nur noch bergab, zwei kurze Tagesetappen bringen uns nach Abisko. Der Kanadier ist schon früher aufgebrochen, vielleicht holen wir ihn noch ein. Es nieselt, das Gestrüpp ist nass und der Boden matschig: Ein guter Tag für Regenkleidung. Den Rentieren macht das Wetter nichts aus, sie grasen gemütlich am See. Sie werfen zu dieser Jahreszeit ihre Basthaut ab, ein Geweih glänzt im roten Blut. Die Sonne bricht durch, der See erstrahlt türkis in ihrem Licht. Minutenlang beobachten wir still den Flug eines Vogelschwarms, dann kehren wir dem See den Rücken. Vor uns erstreckt sich ein Tal voller Birken. Ich freue mich, die Bäume sind zurück, was habe ich sie vermisst! Doch etwas stimmt nicht. Während eine Hälfte ihre bunte Pracht zur Schau stellt, hat die andere schon alle Blätter abgeworfen. Hat der Winter schon Einzug gehalten? Ich hatte mich doch so auf rote Birkenwälder gefreut! Egal, schön ist es trotzdem. Irgendwann queren wir eine Brücke und erreichen einen großen Lagerplatz, hier passen bestimmt zwanzig Zelte hin. Da wir bald die Grenze zum Abisko Nationalpark passieren, wo man nicht campen darf, ist dieser Ort beliebt. Davon zeugt auch der viele Müll, vor allem altes Klopapier. Wieder bin ich enttäuscht, diesmal zurecht. Unseren letzten Abend auf dem Kungsleden verbringen wir gemütlich am Lagerfeuer. Zwei weitere Wanderer gesellen sich zu uns. Wie der Zufall es möchte, sind sie beide ultraleicht unterwegs – einer sogar mit Kamera, er filmt sein Abenteuer. (OT: Hier ist sein tolles Video – ich bin in der vorletzten Aufnahme zu sehen!) Er übernimmt das Feuer, zeigt uns einen Trick: Er formt ein kleines Loch mit seinen Zeigefingern und Daumen und pustet hindurch. Er lenkt den Luftstrom auf die Glut und füttert sie von seinem Sitzplatz aus mit Sauerstoff, ohne sich wie ich vorher das Gesicht fast an den Flammen zu versengen. Die Sonne geht auf, der letzte Tag bricht an. Wir sind froh, den Kungsleden heute zu beenden, denn morgen soll es stürmen. In Abiskojaure sammeln wir durch Zufall den Kanadier ein, dann schlendern wir die letzten Kilometer am Ufer entlang. Hier scheint der Wald wieder in seiner ganzen bunten Pracht. Der See verwandelt sich in einen Strom und schließlich eine Schlucht. Sie ist das Wahrzeichen des Nationalparks und schon bald kommen uns Tagesgäste entgegen. Die Britin lässt leise etwas Musik abspielen. Wir singen gemeinsam, dichten Texte um: "We are the champions ... of the trail". Bevor es zu spät ist, schießen wir noch ein schnelles Gruppenfoto. Und dann sehen wir sie: Die berühmte Holzstruktur aus all den Kungsleden-Videos, die die Stationen des Weges illustriert. Gleich haben wir's geschafft. Wir rennen los, hindurch, da ist der Endpunkt des Weges – das war's. Zeit fürs Mittagessen. Vermutlich die größte Portion, die ich je verschlungen habe.
  10. Tag 8: Umweg oder Irrweg? Ich rolle meine Zelttür zusammen, um einen Blick nach draußen zu werfen. Sie knistert ein wenig, ist von dünnem Eis überzogen. Die Sonne geht gerade erst auf, noch liegt hier oben alles im Schatten. Aber die Luft ist klar, die Sicht ist gut – den Weg sollte ich heute problemlos finden. Ich schlafe noch ein wenig weiter, bis es wärmer ist. Um 7:00 Uhr stehe ich auf. Das Eis ist geschmolzen, mein Zelt jetzt nass. Wieder öffne ich die Tür, hoffe auf warme Sonnenstrahlen. Schön wär's! Die Luft ist schwer vom Nebel. Schlimmer noch, auf dem Pass, den ich überqueren muss, hängt eine Wolke. Mist. Wäre ich vorhin gleich losgegangen, dann wäre ich jetzt schon auf der sicheren Seite. Ich beeile mich, bevor die Aussichten noch schlechter werden. Frühstück im Zelt, Kaffee bleibt aus. Fix packe ich zusammen, dann geht's los. Kleine Steintürmchen weisen mir zwischen zwei Schneefeldern den Weg durchs Geröll auf ein Plateau. Es ist rutschig, mehr Kraxeln als Wandern – hoffentlich passiert mir nichts. Gefährlicher Gedanke. Wenn ich auf Hoffnung trauen muss, sollte ich überhaupt weitergehen? Auf dem Plateau orientiere ich mich und meine Gedanken neu. Die Kraxelei traue ich mir zu, sowas habe ich schon gemacht, sie erinnert mich an den letzten Abschnitt hinauf zur Zugspitze. Ja, der Weg macht sogar Spaß. Das größere Problem ist, ihn im Nebel zu finden. Ich schaue mich immer wieder um, spähe nach Steintürmchen, mache mir gedankliche Notizen. So weit ist alles gut, noch kann ich jederzeit umkehren. Ich verliere die Steintürmchen aus den Augen. Links, rechts und geradeaus liegen Schneefelder. Das in der Ferne hat zwei sichelförmige Risse, wie Kratzer von riesigen Vogelklauen. Ich zücke kurz meine Kamera. Aber wo geht es weiter? Ich schalte mein InReach Mini ein, orte mich auf der Handykarte. Der Pfad zeichnet sich vor mir ab, links geht es sanft hoch. Es wird glatt, ein Bach ist gefroren. Ich balanciere vorsichtig weiter. Langsam sollte ich den höchsten Punkt erreicht haben. Warum erkenne ich nirgends ein Bergab? Plötzlich ist das Geröll zu Ende, ich stehe am Schnee. Eine leichte Spur von Stiefel- und Stockabdrücken erstreckt sich über das ebene Feld. Puh, ein Schneefeld zu überqueren, hatte ich auf meiner Reise keinesfalls erwartet. Ich wage mich hinüber, halb so schlimm. Drüben erwartet mich ein Bergsee, vollständig von Eis bedeckt. Ich taste mich weiter durch den Nebel, dann ... Ja! Der Blick führt nach unten. Bergab sind die Türmchen viel leichter auszumachen, so lasse ich Schnee und Eis schnell hinter mir. Dann lichtet sich auch der Nebel. Ich halte an, schaue mich um – und lache amüsiert. Die nächste Hütte ist schon in Sichtweite, dort ist der Kungsleden! Ich steuere direkt auf ihn zu. Der Fels schwindet, ich federe durch nasses Gras, dann bin ich zurück auf dem Weg und unter Menschen. Ich bin in Laufstimmung. Das Abenteuer hat meine Füße geplättet, aber meine Beine wollen mehr. Schnell tragen sie mich nach Alesjaure. Über eine Hängebrücke, einen hohen bunten Fels hinauf – da ist die kleine Hüttensammlung. Soll ich hierbleiben? Eher nicht, es ist erst 14:00 Uhr und ich möchte nicht wieder zum Zelten zahlen. Andererseits ... der Blick ist schön, es gibt eine Sauna, ich habe eh zu viel Zeit übrig und vielleicht treffe ich den Kanadier wieder. Okay, das sind genügend Gründe. Ich schaue in die Haupthütte hinein, hier soll es einen der größeren Läden auf dem Weg geben. Naja, zum Ende der Saison gibt es trotzdem nur noch Kichererbsen, Schokolade und Kekse. Gut, dass ich ausreichend Nahrung dabei habe! Ich zahle für mein Zelt, suche einen schönen Platz, baue auf. Dann gehe ich zurück in die Hütte, um mich bei einem Kaffee aufzuwärmen. Wer kommt denn da gerade aus dem Laden? Die Britin! Sie möchte bald weiter, um morgen noch Abisko zu erreichen, aber für einen Kaffee hat sie Zeit. Plötzlich taucht vor dem großen Fenster der Kanadier auf. Er lässt seinen Rucksack einfach fallen, rennt hinein, reserviert sein Bett, dann setzt er sich zu uns. Hinter ihm kommen die beiden Briten zur Hütte rein. Unverhofft ist die Gruppe wieder vereint. Was soll die Britin da schon machen? Sie bleibt. Wir trinken Kaffee und essen Schokolade, berichten von unseren Abenteuern, verabreden uns zum Abendessen in einer der Küchenstuben. Wir reden lang, sind die Lautesten, lachen viel. Es ist so gemütlich, wir überspringen sogar die Sauna, und das will was heißen. Um 22:00 Uhr gehen wir ins Bett. Es wird eine ruhige Nacht. Nur eine Maus nascht heimlich von meiner Schokolade, die draußen aus dem Rucksack ragt.
  11. Tag 7: Lieblingsbild Meine Beine fühlen sich heute besonders fit, bereit für viele Kilometer. Das Problem: Die Seen und ihre spärlichen Fährzeiten haben mich durchs Fjäll gehetzt, ich bin meinem Zeitplan weit voraus. Zeit für einen Umweg? Ja, aber nur einen kleinen, ich möchte den Kungsleden nicht zu lange verlassen. Ich studiere die Landkarte, die Route von Sälka über Nallo nach Tjäktja gefällt mir. Ich habe wieder den kurvigen Strom im Blick. Eine Gruppe Rentiere durchquert ihn an einer seichten Stelle. Dann verschwinden sie im bunten Gestrüpp, ich sehe bloß ihre Geweihe. Dafür weckt ein heller Schimmer mein Interesse. Ein Zelt aus DCF, das wird der Schwede sein. Ich nicke ihm zu, wie noch vielen anderen heute. Auf einmal wimmelt es von Menschen, bis zu zehn pro Stunde kommen mir entgegen – vorher eine Handvoll am Tag. Kein Wunder, dieser Streckenabschnitt ist besonders beliebt. Und das ist ebenfalls kein Wunder. Bei Sälka biege ich ab. (Im Teaser meines Berichts schrieb ich, ich wäre in Tjäktja abgebogen. Ein kleiner Fehler, dort komme ich an!) Ich genieße die Strecke, endlich mal querfeldein. Ohne die luxuriösen Holzplanken des Kungsledens muss ich aufpassen, wo ich meine Füße setze. So springe ich von Stein zu Stein, klatsche durch Lehm, streife durch Moos, stolpere durch Geröll. Die Landschaft ist dürr, wie von einem anderen Planeten, hier wandert kaum noch jemand. Der Fels zu meinen Seiten ist kaum bewachsen, alte Schneefelder zieren die Hänge. Der Weg sinkt ab, eine einzelne Hütte gerät in Sicht, das ist Nallo. Steiniger_Bach_AdobeExpress.mp4 Die Hüttenwartin ist die ganze Strecke nach Tjäktja nie gelaufen, kennt nur das erste Stück zu einem Bergsee. Dieser Abschnitt sei aber sehr zu empfehlen, der See traumhaft, dort könne man zelten. Danach werde es wohl sehr steinig, bestimmt anstrengend. Sie habe aber mit ein paar Leuten gesprochen, die von dort hinabgestiegen seien. Sie hätten erzählt, der Pfad sei schwer zu finden – aber ich junger Mann sollte das bei guter Sicht wohl schaffen. Wir einigen uns, dass ich im Zweifel immer noch umkehren könne. Also los. Zum Bergsee geht es steil hoch, dafür schnell. Es windet. Alles voller Geröll, es wird schwierig werden, einen guten Zeltplatz zu finden. Sollte ich doch schon heute über die Kuppe schreiten? Ich gehe näher an den steilen Hang, den ich erklimmen muss. Doch allein der Weg dorthin erweist sich als mühselig. Nach dem langen Tag durch unwegsames Gelände zittern meine Beine. Ich bleibe also am See, finde doch noch eine gute Lagerstätte. Sie ist windgeschützt und hat Blick aufs Wasser, nur die Heringe gehen kaum rein. Einer verbiegt. Ich bin erschöpft, körperlich und mental. Habe ich die falsche Entscheidung getroffen? Es ist kalt, es ist karg, das ist kein idyllisches Fjäll, das ist reiner Fels. Ich hatte Bäume sehen wollen, aber die verstecken sich unten im langen Umweg über Vistas, nicht hier oben. Einzig der See spendet Trost. Doch nicht einmal der bietet guten Stoff für die Kamera, der Wind bewegt das Wasser zu sehr. Entnervt lege ich mich ins Zelt. Als ich wieder rausschaue, erstrahlen die Bergspitzen im Abendlicht. Die Luft ist still, der See liegt ruhig. Die Idylle, die ich so sehr vermisste, hat mich eingeholt. Ich stehe am Ufer und bewundere rote Wolken, die sich sanft vom blauen Himmel abheben. Sie spiegeln sich im glatten Wasser, fließen nahtlos über ins Grau der Steine unter der Oberfläche, ein abstraktes Gemisch aus Form und Farbe. Das Stativ steht, die Kamera klickt. Da ist es, mein liebstes Bild der Reise, und weht alle trüben Gedanken fort.
  12. OT: Danke fürs Erwähnen – auf Wunsch auch das mit meiner Nase
  13. Tag 6: Der Weg teilt sich Die Briten fluchen. Die halbe Nacht lang haben sie gezittert, ihre Daunenschlafsäcke sind völlig klamm von der Kondensation der letzten Tage. Ich musste nur in der Früh meine Jacke überziehen, sonst hat sich mein Schlafkonzept bewährt: Um den Schlafsack lege ich einen selbst genähten Kunstfaserquilt. Er hilft mir, die niedrigeren Temperaturen zu überstehen und hält meinen Schlafsack trocken. Stichwort trocken: Meine Socken sind auch wieder abmarschbereit! Aber ich geh den Tag entspannt an. In der ruhigen Morgenstimmung schieße ich erst ein paar Fotos, dann setze ich mich ans Ufer und genieße mein Frühstück. Die Sonne wandert langsam zu uns herüber, so hat das Zelt noch etwas Zeit zum Trocknen. Dann starte ich den Anstieg. Das Wetter bleibt fürs Fjäll untypisch gut, die Wanderung typisch schön. Ich laufe wieder lange mit dem Schweden zusammen, Tempo und Interessen passen gut zueinander. Wir erreichen die nächste Hütte, unterhalten uns mit dem Hüttenwart, genießen den schönen Blick. Hier wäre sicherlich auch ein schönes Camp. Ab jetzt säumen bunte Bäume den Weg, werden aber spärlicher, bis wir den letzten für ein paar Tage passieren. Baum und See.mp4 Ich vermisse sie schnell. Der Schwede kennt sich in der Gegend aus und rät mir zu einer alternativen Route, ab Sälka über Nallo und Vistas durch ein wunderschön bewaldetes Tal nach Alesjaure. Mal schauen. Den restlichen Tag schreiten wir durch ein langes Tal. Ein großer Strom begleitet uns, links und rechts geht es steil empor. Es wird immer bergiger; riesige, abgebrochene Felsbrocken zieren die Landschaft. Auf der anderen Seite des Stroms zieht ein Helikopter seine Runden. Ich beobachte ihn eine Weile verwirrt, bis ich ein Muster erkenne: Er treibt eine kleine Gruppe Rentiere vor sich her. Irgendwann kehrt die gewohnte Ruhe zurück ins Tal, nur der Wind pfeift in meinen Ohren. In der Ferne entdecke ich ein paar Hütten, dort muss Singi sein. Der Strom zieht in einer anmutigen S-Kurve in diese Richtung, ein schönes Motiv. Doch je weiter ich komme, desto verlockender wird der Blick: Von allen Seiten ziehen gletschergeformte Hänge sanft ins Tal. Langsam halte ich Ausschau nach einem Lagerplatz. Nun habe ich Singi erreicht, möchte aber nicht wieder an einer Hütte bleiben, sehne mich heute wieder nach meiner Ruhe. Mit den beiden Briten, die gerade eine Pause beenden, verabschiede ich mich vorerst vom Kanadier, der hier schläft: Morgen wird er vermutlich eine kurze Etappe bis Sälka einlegen, um Tags darauf frisch gestärkt den Tjäktjapass zu überqueren. Zu dritt schreiten wir durch schönstes Abendlicht, bis ich einen windgeschützten Zeltplatz finde. Die beiden anderen gehen noch ein Stück weiter, da sie morgen einen langen Tag vor sich haben: Sie besteigen den höchsten Berg Schwedens, Kebnekaise. Als ich zu Abend esse, hält der Schwede kurz bei mir. Er legt mir erneut die alternative Route ans Herz, der Pass sei fotografisch vermutlich eher langweilig. Falls ich nicht ganz so weit vom Weg abkommen wollte, könnte ich auch ab Nallo direkt nach Tjäktja abbiegen. Er selbst wird morgen entweder wie die Briten den hohen Berg erklimmen oder ebenfalls bei Sälka abbiegen und den Kungsleden komplett verlassen. So oder so, unsere frisch geformte Wandertruppe droht zu zerfallen. Hoffentlich treffen wir alle noch einmal in Abisko aufeinander, um gemeinsam anzustoßen.
  14. Tag 5: Unverhoffte Gemeinschaft Jeder Tag bietet Neues: Erst Nordlichter, dann rote Wolken und einmalige Blicke, gestern Rentiere. Und heute? Geht es weiter mit Gemeinschaft, dem größten Geschenk des Weges – und das, obwohl ich bewusst alleine wandere. Doch zunächst schlage ich mich nach einer warmen Nacht aus dem Schlafsack, strecke mich und bewundere einen Regen-, nein, Nebelbogen, der sich seinerseits über meinem Zelt erstreckt. Die Luft ist frisch und feucht. Ich genieße sie erst beim Kaffee, dann bergab im verwunschenen Wald. Der schwere Nebel hebt einzelne Bäume aus dem Chaos des Dickichts hervor, überall lauern Fotomotive. Ich könnte hier Stunden mit meiner Kamera verweilen, doch vermutlich verzieht sich der Nebel gleich eh. Ich entdecke ein Auerhuhn (?), dann erreiche ich Saltoluokta. Mich erwartet keine gewöhnliche Fjällstuga, also eine Berghütte, sondern eine Fjällstation. Ein riesiger Hüttenkomplex, in dem ich mich direkt verlaufe. Den Schildern zur Fähre folgend lande ich an einem Strand, leider dem falschen. Zurück, erstmal die Toiletten suchen. Und wo bekomme ich eigentlich ein Fährticket? Ich schaue in die größte Hütte hinein. Irre! Volles Frühstücksbuffet, Socken, Pullis, hier gibt es alles, ja, sogar mein Ticket. Diesmal finde ich auch den Fährsteg. In einer Stunde geht's los, nach und nach treffen mehr Leute ein. Manche kenne ich schon: den Israeli, die zwei Briten, die Britin und das französische Trio. Wir klettern auf die Fähre, suchen uns Plätze und unterhalten uns gemütlich. Dann geht es runter von der Fähre und rein in den Bus – diese Verbindung ist bewusst so angelegt, denn der Kungsleden startet erst wieder 30 Kilometer die Straße hoch. Ein Glück, dass ich gestern durchgezogen habe: Der passende Bus zur 15:00-Uhr-Fähre bringt Leute aus dem Norden nach Saltoluokta und fährt in die falsche Richtung weiter. Ich sitze neben einem Kanadier. Er schläft nur noch in den Hütten, denn er ist endlos begeistert von den Trockenräumen und Saunen. Plötzlich hält der Bus, eine Stunde Aufenthalt. Mitten im Nirgendwo? Nicht ganz: Hier gibt es ein Café, schön eingerichtet, ruhige Musik dringt nach draußen. Mit dem Kanadier geselle ich mich zu den Briten und der Britin, der Israeli stößt später dazu. Wer alleine zeltet, kann sich selten austauschen, jetzt ist endlich Gelegenheit. Wir sprechen über unsere mitgebrachten Mahlzeiten. Ich habe ein paar kalorienreiche Rezepte von Backcountry Foodie zubereitet. Meine Empfehlung: Tomato Pesto Ramen! Bei Vakkotavare springen wir erneut aus dem Bus. Mittlerweile ist es Mittag, der Himmel ist blau, die Sonne strahlt. An einem tosenden Wasserfall vorbei geht es steil den Berg hinauf. Ich laufe neben dem Kanadier, wir schwitzen stark. Als ich Fotos schieße, zieht er davon, möchte das nächste Boot um 17:00 Uhr erwischen. Denn ja, wir haben noch einen See zu überqueren! Aber es ist der letzte, dann ist der Stress vorbei. Ich weiß noch nicht ganz, wie weit ich heute gehe – das hängt ganz von den Blicken und meinen Fotoplänen ab. Die Landschaft? Unglaublich. Der Weg durchzieht grüne Hügel, in der Ferne glänzen schneebedeckte Gipfel, überall wedelt Wollgras im Wind, hier und da grasen Rentiere. An einem großen Strom mache ich Pause und lege mein Zelt zum Trocknen aus. Wie wär's mit einer kurzen Wäsche? Nacheinander schrubbe ich Füße, Beine, Arme und Oberkörper, dann stecke in den Kopf ins Wasser. Puh, ist das kalt! Ich wärme mich in der Sonne auf, dann krame ich die Sonnencreme aus dem Rucksack. Die Britin kommt vorbei und erkundigt sich nach meinem Atom Packs und der Kameratasche. Die habe ich selbst genäht, um die Kamera stets griffbereit vor der Brust zu tragen. Tatsächlich bleibt MYOG heute ein größeres Thema. Später laufe ich mit einem Schweden zusammen, habe ihn auf seinen HMG-Rucksack angesprochen, dann verfallen wir lange ins Gespräch. Er näht gerade ein Zelt, ich habe ebenfalls ein unfertiges zuhause liegen, wir bewundern die Landschaft und tauschen Reisepläne aus. Vielleicht läuft er mal den Camino, mir empfiehlt er Bornholm zur Osterzeit. Irgendwann treffen wir aufs französische Trio. Ich zeige ihnen ein Bild von der ersten Nacht, auf dem ich sie im Nachhinein entdeckt habe. Als die Sonne hinterm Fels verschwindet, beginnt der Abstieg. Ich schreite durch einen lichten Wald. Auch hier könnte ich Stunden verbringen, die Birken leuchten allesamt im tiefen Gelb, ein oder zwei tragen schon rotes Laub. Wenn es doch jetzt noch neblig wäre! Sollte ich bis hier schlafen und auf die Morgenstimmung hoffen? Nein, ich bin schon fast am See. Besser, ich bringe die letzte Überfahrt hinter mich. Ab dann zelte ich, wo ich will, Zeit habe ich genug. Der Schwede bleibt zum Schwimmen an einem Teich, das französische Trio erreicht direkt nach mir den See. Er ist völlig ruhig, die Überfahrt nur kurz. Wir wollen rudern! Ich ziehe meine Handschuhe an, damit ich nicht wieder Blasen an den Händen bekomme, und kutschiere zwei der Franzosen mit dem einzigen Ruderboot nach drüben. Sie kehren mit zwei Booten zurück, um ihre Freundin abzuholen und ein Boot am anderen Ufer zulassen. Doch mittlerweile sind mehr Leute angekommen, so geht das Hin- und Hergepaddle noch eine Weile weiter. Boot.mp4 Ich hatte vorhin ein Paar Socken im Strom gewaschen und bin zum ersten Mal mit meinen Sealskins gelaufen. Leider brechen sie ihr trockenes Versprechen: Als ich nach der Überfahrt zuversichtlich mit den Zehen ins Wasser trete, sind meine Füße sofort nass. Zu allem Überfluss ist das andere Paar noch nicht getrocknet, insgesamt eine klitschig-kalte Angelegenheit. Der Kanadier rät mir zum Trockenraum, die beiden Briten berichten von einer Sauna. Meine Entscheidung ist gefallen: Ich zahle 300 Kronen, um in Teusajaure zu zelten. Die Socken hängen, das Tomato Pesto ist verzehrt. Heute Abend mache ich keine Fotos – jetzt ist Pause angesagt! Ab in die Sauna. Ah, so lässt es sich gut wandern. Ich versuche, mich im See abzukühlen. Aber noch bevor ich richtig drin bin, schmerzen meine Füße so sehr von der Kälte, dass ich zurück in die Sauna haste. Für den Abend habe ich mich mit dem Kanadier, den Briten und der Britin in einer der Hütten verabredet. Der Schwede und das Trio zelten etwas höher auf dem Berg, der Israeli ist längst davon. Die meisten anderen Leute schlafen schon, als wir uns bei flackerndem Kerzenschein und wohliger Holzofenwärme an den Hüttentisch setzen und gemütlich plaudern. Es wird ein witziger Abend voll spannender Wandergeschichten. Irgendwann schauen wir aus dem Fenster. Sind das ... Nordlichter?! Ein grüner Schein dringt bis zu uns hinein, etwas später trauen wir uns in die Kälte. Diesmal halte ich mein eigenes Versprechen und lasse die Kamera liegen, heute genieße ich einfach die Sicht. Naja, bis auf einen Schnappschuss aus der Hand durchs Fenster. Und ein schnelles Video mit der Pocket-Kamera gibt's auch ... Nordlicht.mp4 Der Himmel tobt. Die Lichter strahlen so hell wie in der ersten Nacht, zucken aber noch viel stärker übers Firmament. Es scheint wirklich, als würden Götter und Geister über den Himmel jagen und miteinander tanzen. Einfach magisch, einfach unglaublich. Unsere Nacken werden schon starr, aber es hört einfach nicht auf. Irgendwann reißen wir unsere Blicke los und fliehen ins Warme. Wir flüstern im Dunkeln, setzen uns vor den Holzofen und starren in die Glut – alle mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht. Diese Nacht werden wir nie vergessen.
  15. Danke euch allen für die lieben Kommentare! Das macht große Laune, weiterzutippen.
  16. Tag 4: Der lange Marsch Mit trockener Kehle wache ich auf. Ich greife zur Wasserflasche und nehme den letzten Schluck. Der Kaffee muss wohl warten! Da es draußen prasselt und ich den Kocher nicht brauche, frühstücke ich im Zelt. Ich öffne die Tür und spähe hinaus. Dichter Nebel, keine Aussicht. Ich lache. Genug von der Sonne, endlich zeigt der Kungsleden sein wahres Gesicht! Ich ziehe die Regenjacke über, packe zusammen und ziehe los. Es dauert nicht lang, dann lichtet sich der Nebel. An der Kreuzung bleibe ich stehen. Ich möchte ungern den unnötigen Weg nach unten laufen, um Wasser zu holen. Oben gibt es bestimmt auch eine Quelle? Ich frage ein französisches Wandertrio, das gerade aus ihren Zelten klettert. Sie wissen es auch nicht, laufen in die gleiche Richtung. Logisch, denke ich später, ich kenne sie ja: Sie hatten in der ersten Nacht in meiner Nähe gezeltet und geangelt. Im Niesel stapfe ich voran. Ich mag das: Bei diesem Wetter verfalle ich in eine Art Trance, setze automatisch Schritt um Schritt und ziehe mich in meinen Kopf zurück. Bis mich eine Bewegung im Augenwinkel stutzig macht: Zwischen den bunten Sträuchern stolziert ein Rentier. Nein, nicht eins – bestimmt ein ganzes Dutzend. Ich beobachte sie fasziniert, bis sie hinter einer Hügelkuppe verschwinden. Dann schreite ich selbst über eine Hügelkuppe. Ich kann meinen Augen nicht trauen: Bestimmt 200 Tiere ziehen vor mir durchs Fjäll. Leider erzählen die Rentiere mir nicht, wo es Wasser gibt. Allen Reiseberichten zufolge quillt der Kungsleden vor Bächen nur so über, aber dazu braucht es wohl entweder Schmelzwasser oder vernünftigen Regen. Fürs erste ist das Wetter zu kalt, fürs zweite immer noch zu gut. Ein netter Wanderer verrät mir endlich, unten im Wald sei eine gute Quelle. Bis dahin sei es aber noch eine gute Stunde. Ich danke also und eile davon. Doch zuerst erinnert mich ein Schild daran, meine Überfahrt über den nächsten See (Sitojaure) zu buchen: Hier oben habe ich tatsächlich Empfang. Ich wähle die Nummer und sichere mir einen Platz für 17:15 Uhr. Dann geht es steil runter, hinein in einen kleinen Birkenwald. Der Himmel bricht auf, die Sonne scheint, mir wird warm. Bis zum Boot habe ich viel Zeit, also erkunde ich ein wenig die Gegend. Abseits des Weges entdecke ich einen kleinen See, hier habe ich tolle Sicht auf die Berge in der Ferne. Mir gelingt ein Foto, dann suche ich den Bach und nehme ein paar durstige Schlucke. Ein weiteres Schild verrät mir, es seien noch 4 Kilometer bis zum Sitojaure. Doch nach 20 Metern stehe ich schon am Ufer: Es sind wohl 4 Kilometer über den See, nicht bis zum See. Dann heißt es jetzt wohl warten. Oder? Am Ufer sitzen bereits ein Israeli, zwei Briten und eine Britin. Letztere erzählt, sie habe ein zusätzliches Boot für 13:00 Uhr gebucht. Mal schauen, vielleicht kann ich da schon mit. Der Israeli harrt schon seit 8:30 Uhr am See aus, er hatte die Fahrt am Morgen knapp verpasst. "I'm sick of looking at this lake", kommentiert er trocken. Ein älteres Paar gesellt sich zu uns, das Angeltrio stößt auch dazu. Dann kommt schon das Boot, ein Passagier trägt einen Atom Packs. "Nice pack!", rufe diesmal ich. Das wird eng. Zu eng, korrigiert mich der Fahrer. Er könne nur neun von uns mitnehmen, da er nicht genug Schwimmwesten habe. Der Israeli bietet sich an, zurückzubleiben. Alle protestieren. Doch selbst als sich eine zehnte Weste in einer Kiste am Ufer auftreiben lässt (hier verstecken sie sich also doch!), weigert er sich – möchte vermutlich nicht die 10 € Aufpreis zahlen. "No problem, I'll take the later boat and just walk at night." Na gut. Die Bootsfahrt ist schön, deutlich schneller als ein Ruderboot, aber die gibt es hier ja eh nicht. Dann werden wir langsamer. Vorsichtig navigiert der Fahrer entlang einer Route, die er im Sommer abgetaucht und mit Stäben markiert hat. Im September sei der Pegel immer niedrig, da mit der Kälte das Schmelzwasser ausbleibe, also müsse er wegen der Steine im Wasser aufpassen, erklärt er. Aktuell sei es besonders schwierig, da das Wasser wegen heftiger Regenfälle im August sehr trüb sei. Überfahrt.mp4 Der Motor bricht ab. Dem Fahrer ist es sichtlich unangenehm, füllt aber schnell aus einem Benzinkanister nach. Normalerweise nehme er das größere Boot und kontrolliere dort regelmäßig den Stand, aber da eigentlich nur eine Person den extra Trip gebucht hatte, war er aufs kleine Boot ausgewichen. Macht ja nichts, wir freuen uns alle, ein paar Stunden gespart zu haben! Am anderen Ufer zahlen wir für die Fahrt, ich krame mein Bargeld hervor. Zum Glück nimmt er es an, das ist hier oben keine Selbstverständlichkeit: In der schwedischen Wildnis ist Kartenzahlung bereits beliebter als in einer deutschen Großstadt. Am anderen Ufer bietet die Landschaft ein neues Bild, wird langsam rauer. Dazwischen die Idylle: Schöne Teiche mit hohem Gras, vereinzelte Gruppen von Rentieren. Links von mir erstreckt sich ein wunderschönes Tal im Tal, wie eine kleine Schlucht. Ein langer Bach zieht sich durch, hier blüht die grüne Vegetation, vereinzelte bunte Bäume. In schönem Licht könnte ich mich hier nicht sattsehen. Doch es verdunkelt sich, die Wolken ziehen zu. Alle Bilder werden langweilig, ihnen fehlt das Leben. Kann ja auch mal sein, bisher war das Wetter für den Kungsleden eigentlich viel zu gut! Der Weg führt Richtung Saltoluokta. Ich wollte eigentlich irgendwo auf halber Strecke schlafen, um am nächsten Morgen den Rest zu wandern und die Überfahrt um 15:00 Uhr zu erwischen. Denn am dritten See gibt es wieder keine Ruderboote, dafür aber eine richtige Fähre. Doch ich bin gut in der Zeit, also lasse ich meine Füße treiben. Vielleicht schaffe ich schon die Fähre um 10:00 Uhr. Kilometer um Kilometer zieht dahin. Keine tollen Blicke, kein tolles Licht, also verstecke ich mich wieder in meinen Gedanken und lasse meine Füße treiben. Ich laufe immer weiter, Schritt um Schritt und ohne Pause, selbst als die Füße langsam stoppen möchten. Bis ich am frühen Abend einen See erblicke: Hier geht es endlich runter nach Saltoluokta. Mein langes Tal geht zu Ende, neue Blicke öffnen sich. Berge in der Ferne, kleine Seen zu meiner Linken. Die Sonne bricht heraus. Ich schieße ein Foto einer einsamen Bergspitze. Es hat sich gelohnt, durchzuziehen. Das Tal hinter mir liegt im Schatten, dort bleibt es jetzt duster. Doch hier ist mein Glück noch nicht zu Ende. Das neue Tal bietet einen Pfad für die Sonne und schenkt mir später die Sicht auf orange schimmernde Wolken. Das Zelt steht. Noch ein paar Fotos, Nachricht an die Liebsten, Essen. Dann sinke ich zufrieden ins Bett – der Kungsleden ist einfach spitze. Ich habe ja keine Ahnung, dass der nächste Tag alles noch übertreffen wird ...
  17. Tag 3: "Great spot!" Mal schlafe ich, meist krampft mein Magen. Ich wühle hin und her, suche eine Position, die Abhilfe schafft. Vergeblich. Habe ich schlechtes Wasser getrunken? Hätte ich doch den Wasserfilter mitnehmen sollen, entgegen allen Wanderberichten, hier oben sei nichts zu befürchten? Dass mein Erste-Hilfe-Set etwas für Magenprobleme bereithält, vergesse ich ganz unter der Angst, der Weg wäre hier für mich vorbei. In den frühen Morgenstunden entspannt sich die Lage. Wahrscheinlich war mein Körper das trockene, fettige Essen bloß noch nicht gewohnt und wollte ein bisschen meckern. Gegen 7:00 Uhr wache ich auf und packe langsam zusammen. Auch mein Hüttenpartner setzt sich auf und bereitet sein Frühstück zu. Bei mir geht mal wieder nichts über Kalorien und Nüsse, wenn auch ohne Schokolade: Ein leckeres Müsli aus Nüssen, Samen und Apfelringen. Wir lassen gerade die Ruderboote ein, als das Fährboot kommt und ein paar Südwärtige absetzt. Wir fühlen uns abenteuerlustig, also verzichten wir auf die Wasserkutsche. Wir wollen uns den Einstieg einfach machen und ziehen unser Boot an den Steg. Aber das gefällt dem Fährmann gar nicht: „No, no, not for you!“, schimpft er und wedelt heftig mit den Armen. Na gut, zurück zu den rutschigen Steinen. Kaum sind wir unter seiner peniblen Beobachtung zwei Paddelschläge weit gekommen, murrt er weiter: „Life vests! Where are your life vests?!“ – und fährt ohne weitere Hinweise davon. Ja, gute Frage, wo? Wir haben keine gesehen. Die Bootshütte ist geschlossen, sonst gibt es nur eine Kiste mit der Aufschrift „Sand“, die wird es wohl kaum sein. Es muss auch ohne gehen. Unsere Freunde im ersten Boot sind schon los, das Motorboot ist nun auch weg, das Wasser wirkt ruhig, das Wetter gut. Und falls was schiefgeht, können wir uns immer noch auf eine der Inseln im See retten. Hier führt der Weg eh vorbei, den uns ein paar Bojen markieren. Als wir unsere kleine Bucht verlassen, merken wir schnell: Es ist windiger (und dadurch wilder) als gedacht. Die Bojen sind kaum mehr auszumachen, die kleinen Wellen blockieren häufiger die Paddel, es spritzt ins Boot. Gut, dass wir Regenjacken anhaben! Wir wechseln uns ab, das Ganze macht ordentlich Spaß. Nach einer Dreiviertelstunde erreichen wir das andere Ufer, rund vierzig Minuten später als das Motorboot. Hier liegt noch ein weiteres Ruderboot, es gab also insgesamt vier. Es ist 10:00 Uhr. Höchste Zeit, auch an Land ein paar Kilometer hinter uns zu bringen. Zunächst erreichen wir Aktse, das kleine Hüttendorf über dem See. Ein kleiner Laden, Picknicktisch und warme Sonnenstrahlen laden uns zu einer ungeplanten Pause ein. Wir legen ein paar Sachen zum Trocknen aus und unterhalten uns mit den letzten Langschläfern, die hier genächtigt hatten. Ich kauf drei Teebeutel für den Preis von drei Teepackungen, einfach weil ich finde, es gehöre dazu, in einem der Hüttenläden etwas zu kaufen. Doch lange genug für eine Tasse Tee kann ich die Füße nicht mehr stillhalten und ziehe los. Auf dem nächsten Hügel wartet eine Wanderkreuzung. Der Kungsleden führt geradeaus, von links ruft Skierffe, der Berg mit der besten Aussicht weit und breit. Diesen Abstecher lässt sich hier niemand entgehen. Abseits vom offiziellen Weg muss ich mir einen Pfad durch Morast kämpfen, bevor es endlich steiniger wird. Ich blicke in ein langes Flussdelta, gespickt von bunten Bäumen. Was ein Anblick! Eine Familie schlägt hinter einem riesigen Felsbrocken windgeschützt ihr Lager auf. Ich beneide sie. Ob ich später auch so einen tollen Platz finde? Wohl kaum. Schöner (und damit am schönsten) ist es nur auf dem Gipfel. Die Versuchung, hierzubleiben ist groß: Der Blick ins Tal ist wunderschön und ich würde ihn unglaublich gern im roten Abendlicht erleben und fotografieren. Es ist aber viel zu windig, als dass ich hier zelten wollte – nicht zu vergessen die Absturzgefahr bei Nacht. Auch bis zum Abend zu bleiben, ist mir zu riskant, da ich nicht im Dunkeln den Weg zurück durch den Morast suchen möchte. Ich verfluche meine Vernunft. Immerhin, mit meinem Teleobjektiv gelingen mir auch jetzt ein paar schöne Aufnahmen. Die Jungs stoßen dazu. Ein Gruppenfoto, dann müssen wir uns verabschieden: Sie schreiten tiefer in den Sarek hinein. Und ich? Könnte querfeldein abkürzen und direkt zum nächsten See wandern. Aber mein Wasser ist knapp und ich möchte mich nicht auf unsichere Quellenlagen stützen. Ich trete also den Rückweg an. Nach einer halben Stunde kommt ein Bach, das wird mir bis zur Kreuzung reichen. Und wenn ich dort zelte, kann ich vor dem Kochen fix ohne Rucksack ein Stück Richtung Aktse hinunterlaufen, da hatte ich noch einen Bach gesehen. Ich verwerfe meinen Plan: Die Familie ist fort, der schöne Platz ist frei! Hier muss ich einfach bleiben. Zum Abendessen reicht mein Wasser noch, das Frühstück muss ich halt trocken schlucken. Ich entfache ein kleines Feuer. Es kämpft mit dem Wind, aber der Windschirm meines Kochers hält es tapfer am Leben. Zwei letzte Wanderer laufen vorbei. "Good spot!", ruft einer. Ja, der beste meines ganzen Weges. Ich starre in die Ferne und lasse meine Gedanken treiben, bis es dunkel wird. Zeit, das Feuer zu löschen. Aussicht mit Feuer.mov
  18. @FastULi OT: Danke dir! Der Mo hat sich super geschlagen. Allerdings war auch nicht alles Gewicht im Rucksack: Die Kameraausrüstung trage ich in einer selbst genähten Tasche vor der Brust, siehe hier. Da die Schlaufen an den Schultergurten, wo ich die Tasche befestige, nicht auf der exakt gleichen Höhe festgenäht sind, wurde eine Schulter leider mehr belastet. Das werde ich vor der nächsten Tour anpassen.
  19. Tag 2: Rote Wolken Ich friere. Immer wieder wache ich auf, ziehe Schicht um Schicht mehr an, selbst die Daunenjacke reicht nicht aus. Ich rücke die Kapuze tiefer ins Gesicht und versuche, die Kälte wegzudenken. Wird das jede Nacht so, vielleicht noch kälter? Die Nächte werden jeden Tag länger, ich ziehe nordwärts und in die Höhe. Habe ich mich in der Temperatur verkalkuliert, wird das hier echt kein Spaß. Ohne Wecker stehe ich auf, vermutlich gegen 6:00 Uhr. Mein Zelt ist innen und außen von dünnem Eis überzogen, auch das Wasser zwischen den Steinen am Ufer gefriert. Ich zwinge meine kalten Finger ein paar Fotos zu schießen, dann enteise ich das Zelt. Warmes Blut prickelt zurück in meine Glieder. Frühstück, dann los. Bald kommen mir die ersten Menschen entgegen. Die meisten laufen südwärts, ich kann der Idee wenig abgewinnen. Ich habe die Sonne lieber im Rücken, statt von ihr geblendet zu werden. "Nice pack!", zerrt mich jemand aus den Gedanken. Wer erkennt denn schon meinen Rucksack, ein Ultralight-Wanderer? Ja, und YouTuber mit Kameraausrüstung zugleich! Der Italiener erzählt mir, gestern Nacht seien es -4°C gewesen. Wir fachsimpeln kurz über unser Gear (ich trage einen Atom Packs, er einen Yamatomichi), dann ziehen wir in entgegengesetzte Richtungen weiter. Wenig später führt eine kleine Abzweigung nach Parte, einer Halbinsel, auf der ein paar Hütten stehen: zum Schlafen, fürs Feuerholz und fürs ... Geschäftliche. Ich erleichtere mich direkt daneben am ausgewiesenen "Gentlemen's Loo", einem Baum. Ein Stück Seife liegt parat, ebenso ein Eimer mit Wasser. Ich folge der angepinnten Anleitung, schöpfe etwas Wasser in die montierte Konservendose und wasche mir die Hände unter dem Loch, aus dem das Wasser sickert. Während ich weiterlaufe, krame ich ein paar Snacks aus der Bottom-Pocket meines Rucksacks. Ich mache selten längere Pausen, da ich schon oft genug mit der Kamera stehen bleibe. Also esse ich einfach unterwegs. Alle ein bis zwei Stunden gibt es kalorienreiche Leckereien: Nüsse, Schokolade, von Schokolade umhüllte Nüsse, diverse Riegel und ein bis zwei getrocknete Mangostreifen. Ich kaue ein wenig, da höre ich hinter mir bekannte Stimmen. Eine Gruppe Deutscher nähert sich. Ich habe sie gestern im Bus kennengelernt, fünf junge Studenten, die sich auf eigene Faust durch den Nationalpark Sarek schlagen wollen. Wir tauschen uns kurz aus, sie haben gestern am Lagerfeuer die Nordlichter beobachtet. Ein Schild heißt mich im Sarek willkommen. Ja, auch der Kungsleden führt durch diesen Nationalpark. Zumindest für einen Tag. Die Grenze wirkt gut gewählt, denn als der Weg ansteigt, verändert sich die Landschaft rasch: Aus Nadelwald wird Mischwald, aus Mischwald Laubwald. Dann gar kein Wald: Ich habe das Fjäll erreicht. Vor mir liegt ein bunter Heideteppich, hinter mir führt der Blick ins Tal. Zwischen den grünen Fichten und Kiefern sprießen Birken in die Höhe. Manche leuchten bereits gelb, ihr rotes Gewand folgt hoffentlich bald. Hoch, über den Hügel und wieder runter: Heute möchte ich Strecke machen. Hier oben gibt es schöne Lagerplätze, aber der Schrecken der kalten Nacht treibt mich in tiefere Ebenen. Am besten zum nächsten See: dem ersten von vieren, die ich auf meiner Tour überqueren muss. Schaffe ich es bis 17:00 Uhr? Dann fährt das Motorboot nach Aktse. Doch ich werde langsamer, Füße und Rücken schmerzen. Egal, weiter. So spare ich mir immerhin morgen früh den Stress, zur 9:00-Uhr-Überfahrt zu hetzen. Man kann auch rudern, aber allein bei Wind und Wetter? Als ich den See erreiche, verschwindet das Motorboot gerade hinter einer Insel – auf und davon. Die Deutschen treffen ein, sie haben sich ebenfalls durchgekämpft. Wir besprechen die Lage, sie hätten für mich Platz im zweiten Ruderboot. Insgesamt liegen drei bereit. Ein Glück für uns: Denn laut der Infotafel gibt es ingesamt nur drei Boote und eigentlich muss immer mindestens eins auf jeder Seite bleiben. Wer das letzte nimmt, muss mit einem zweiten im Schlepptau zurückfahren, es am ersten Ufer festmachen und ein drittes Mal übersetzen. Doch ein starker Wind zieht auf, möglicherweise sogar ein Sturm – wir wollen es nicht drauf ankommen lassen. Die Gruppe zieht sich in den Wald zurück, ich geselle mich zu einem weiteren Deutschen in die Schutzhütte am Ufer. Während ich mein Abendessen koche, verfasse ich eine Nachricht auf meinem Garmin InReach Mini. Täglich sende ich Familie und Freundin eine Nachricht samt Standort. Sollte etwas passieren, würde man mich auf dem Kungsleden zwar finden – aber für mich ist es auch eine Übungstour für abgelegenere Reisen. Es dauert eine ganze Weile, bis die Nachricht endlich rausgeht. Gut, dass ich das teste. Im Ernstfall hätte mich sonst die Panik gepackt. Jetzt ab in den Schlafsack. Das waren eindeutig zu viele Kilometer für den zweiten Tag gewesen, habe keine Energie mehr für Fotos. Graues Licht und unruhiges Wasser bieten eh nicht viel für die Linse, rede ich mir ein. Ich unterhalte mich mit dem Deutschen in der Schutzhütte. Beeindrucke, teils aberwitzige Geschichten. Er habe gestern zwei Adler und einen Polarfuchs gesehen, zeigt mir knapp tausend Fotos – nur keins von den Tieren. Ein Schwätzer? Ich vermisse die Ruhe meines Zeltes. Irgendwann blicken wir aus dem Fenster. Der Himmel glüht! Der Anblick verschafft mir neue Energie. Ich schlüpfe aus dem Schlafsack und in die Schuhe, renne ans Ufer, suche ein Bild. Die Studenten sind auch schon da, alle starren in den Himmel. Die Wolken leuchten in so einem tiefen Rot, das habe ich noch nie gesehen. Ich löse mich aus dem Bann, ein erster Schnappschuss, suche hektisch nach einer besseren Komposition. Als das Licht beginnt zu schwinden, löse ich aus. Und damit: Gute Nacht. Wenn nur die Magenkrämpfe nicht wären ...
  20. Die Kamera hilft natürlich, das ganze in Szene zu setzen. Berge, Bäume, Spiegelung? Das habe ich mit bloßem Auge kaum wahrgenommen. Aber gegen das Schwarz des Himmels heben sich die Lichter besonders gut ab, daher ja: Sie waren tatsächlich kräftig grün. Und durch ihre Bewegung noch viel eindrücklicher, als das Bild es vermuten lässt. Ich hatte mich auch an einer kleinen Timelapse versucht. Geht besser, aber hilft es zu verdeutlichen: Über dem Berg sind die Lichter besonders intensiv, dort konnte ich sogar ein paar der pinken Streifen mit dem Auge erkennen. Oben sind sie schwächer, wurden später aber intensiver und haben mehr Form angenommen. Nordlichter-1080p.mp4
  21. Danke euch! Während ich hier schreibe, plane ich parallel direkt die nächste Tour in den Norden. Hat einfach so viel zu bieten! Morgen geht's weiter im Text
  22. Tag 1: Geschenk des Weges Fünf Minuten bin ich einen See entlang gelaufen, da merke ich, etwas stimmt nicht. Ich laufe doch nach Norden, warum scheint mir dann mitten am Tag die Sonne ins Gesicht? Ups! Da bin ich glatt in die falsche Richtung gestartet. Ich kehre um. Statt 180 habe ich nun 181 Kilometer vor mir, aber das macht nichts, ich habe ja Zeit. Statt an einem See beginnt mein Abenteuer in einem Wald. Zwischen lauter Nadeln lugen auch ein paar Birkenblätter hervor, die ersten leuchten bereits gelb. Mein Blick durchforstet das Dickicht links und rechts. Überall verstecken sich Pilze. Nach einer halben Stunde folgt der erste Bach, dann morastige Felder. In der Ferne entdecke ich schneebedeckte Gipfel. Ja, hier gibt es sie, die Idylle. Für heute hege ich keine großen Pläne mehr, bin ja erst gegen Mittag aus dem Bus gestiegen. Aber gerüchteweise weiß ich von der Fahrt: Die Chance steht gut, am Abend Nordlichter zu sehen! Das lasse ich mir auf keinen Fall entgehen. Ich werde also weiterlaufen, bis ich einen schönen Blick finde, um sie auch mit der Kamera einzufangen. Etwa zehn Kilometer später ist es so weit. Ich komme an den ersten See (wenn wir meinen Fehlstart mal außer Acht lassen). Ein Platz fürs Zelt, ein Blick für die Nacht, ein Bach ist nicht weit – ich bleibe hier. Im ruhigen See spiegeln sich die Berge, die untergehende Sonne wärmt mein Gesicht. Ich errichte mein Zelt, bereite und verzehre mein Abendessen und hole Wasser vom Bach. Dann hüpfe ich im flachen Wasser von Stein zu Stein und fotografiere den Sonnenuntergang. Nicht weit von mir zeltet eine kleine Gruppe aus dem Bus, angelt und räuchert Fisch. Sie lassen den Abend am Feuer ausklingen, doch für mich geht's früh ins Bett. Ich stelle mir natürlich ausreichend Wecker, damit ich auch kein einziges Nordlicht verpasse. Ring riiiiiing! Müde schalte ich den Wecker aus, kämpfe mich aus dem Schlafsack und krabble aus dem Zelt. Es ist elf Uhr in der Nacht und absolut finster. Nur nicht am Himmel: Zwischen den Sternen wabert ein sanftes Licht hin und her. Sind das etwa die ersten Nordlichter? Ich erkenne zunächst nur eine dünne, helle Wolke. Schnell schnappe ich Kamera und Stativ, laufe zum Ufer und schieße das erste Bild. Ja, es sind Nordlichter, und sie leuchten grün! Ich springe wieder schnell von Stein zu Stein, ein Foto hier, eins dort, eins mit Bergen, eins direkt in den Himmel. Ich bin begeistert. Doch dann halte ich inne: Irgendwie sind die Nordlichter doch ... überbewertet. Mit dem bloßen Auge erkenne ich bloß graue Nebelschwaden, nur ab und zu funkeln sie grünlich. All die Fotos, die man so kennt, gaukeln einem doch was vor? Ich murmele müde meinen Missmut in die Nacht. Doch dann verschlägt es mir die Sprache. Jetzt geht es erst richtig los! Die Nebelschwaden bewegen sich immer schneller, werden heller und nehmen klare Formen an, erstrahlen selbst fürs bloße Auge kräftig grün. Sie schwingen hin und her, tanzen gar stürmisch übers Firmament. Ich lache. Ja, die Fotos lügen – denn kein einziges wird diesem Schauspiel gerecht. Nach einer Stunde gucken und fotografieren wird es mir zu kalt. Ich schlüpfe zurück in den Schlafsack. Danke, Kungsleden, für das tolle Geschenk.
  23. Bevor es beginnt Meine Reise durchs Hochland beginnt in den Highlands. Auf dem West Highland Way 2016, meiner ersten Tour mit Zelt, erzählte mir ein Wanderpaar, sie würden für den "Kungsleden" trainieren: einem Fernwanderweg durch die schwedische Wildnis. Dort gebe es nichts als ewige Weite und nur eine kleine Holzhütte auf jeder Etappe, man müsse Essen für ein bis zwei Wochen einplanen und 25-30 kg auf dem Rücken schleppen, man könne Bären und Elchen begegnen – ja, das ganze Unterfangen sei ganz schön anstrengend und gefährlich. Jahre später suche ich nach einer neuen Herausforderung und erinnere mich an das Gespräch. Ist der Kungsleden wirklich so gefährlich? Keinesfalls: Eine schnelle Recherche entlarvt diese Erzählung als heillose Übertreibung. Im schwedischen Hochland bedeutet Wildnis Idylle, nicht Todesfalle. Hier sieht man vor allem Rentiere und Lemminge statt Bären und Elche, manche der Hütten haben einen Laden oder sogar eine Sauna und alle paar Tage gibt's eine Busanbindung. Perfekte Voraussetzungen, um für Touren abseits der Wege zu üben. Meine Ehrfurcht schwindet, weicht gesundem Respekt und verwandelt sich in Planungslust. Am 2. September 2022, einem lauwarmen Freitagabend, liege ich endlich im Nachtzug von Hamburg nach Stockholm. Ein Glück! Denn obwohl dies erst der zweite Tag der neuen Direktverbindung ist, geht bereits einiges schief – bisher fahren bloß zwei der fünf geplanten Wagen mit. Das Hamburger Abendblatt berichtet: „Die von der schwedischen Staatsbahn betriebenen Waggons haben keine Zulassung für Dänemark“. Und einige Tage später kommt es noch schlimmer: Der Zug fährt einfach eine Stunde früher ab, ohne dass SJ (die betreibende, schwedische Bahn) die DB informiert hätte. Alle, die ihr Ticket über die DB gekauft hatten, stehen also zur geplanten Abfahrtszeit am leeren Gleis – und müssen mit einem notdürftig organisierten Nachtbus vorlieb nehmen. Ich hingegen? Liege glücklich im Nachtzug. Die Landschaft zieht langsam vorbei, während ich mich müde in den Schlaf schaukeln lasse. Morgen habe ich acht Stunden Zeit, um die auf Inseln gebaute Hauptstadt zu erkunden. Dann bringt mich der nächste Nachtzug nach Jokkmokk und ein Bus nach Kvikkjokk. Hier starte ich mein Ultralight- und Fotoabenteuer auf dem Kungsleden im Herbst 2022. Ultralight und Fotoabenteuer, wie passt das zusammen? Ganz einfach: Ich wandere ultraleicht nicht trotz, sondern weil ich gern fotografiere. Ich habe dreieinhalb Kilogramm Kameraausrüstung dabei, um schönes Licht, den Nachthimmel und abstrakte Formen einzufangen. Das ist für mein Setup bereits ganz schön leicht – aber damit ich noch genug Energie zum Wandern und Fotografieren habe, muss auch der Rest der Ausrüstung so leicht wie möglich sein. Das Ergebnis: neun Kilogramm inklusive Fotoausrüstung, dazu kommen sechseinhalb Kilogramm fürs Essen, sowie meist ein halber Liter Wasser. Lighterpack: https://lighterpack.com/r/088nzr Reiseplanung: Packlistenplanung:
  24. Schwitzend, trotz der Kälte, kämpfe ich voran. Ich richte den Blick zum Boden, alles andere wird vom dichten Nebel verschluckt. Vorsichtig setze ich meine Schritte. Überall verbergen sich Löcher im Geröll, manche Felsen glänzen unter dünnem Eis, andere wackeln gefährlich. Die karge Natur erinnert mich an die Alpen. Dabei wandere ich doch durchs grüne, hügelige, lebendige Schweden. Wann und wo bin ich bloß falsch abgebogen? Gestern, in Tjäktja. Da ich zu viel Zeit für zu wenige Kilometer übrig hatte, entschloss ich mich für einen Umweg, der es in sich hatte. Eine steinige Passüberquerung im tiefen Nebel, verschneite Berghänge und vereiste Bäche, keine Menschenseele weit und breit. Aber auch ein ruhiger Bergsee, glühende Gipfel im Abendlicht und mein liebstes Foto der Reise. Falsch abgebogen? Richtig so!
  25. Um den Titandraht zu ersetzen, dachte ich! Was spart das, 1-2g? Ansonsten gibt's sowas: https://www.platy.com/de/bottles/platypreserve/10968.html Hab ich mal verschenkt, um das Wandern etwas schmackhafter zum machen Bin aber nicht Sommelier genug, um einen Unterschied zur Plastikflasche (oder umgekehrt der Glasflasche!) zu beurteilen.
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